Zwei Mädchen sitzen gelangweilt in einer blaugelben Bretterbude, in der blaugelbe Fanartikel hängen. Wer die Preisliste studiert, stolpert über ein T-Shirt, auf dem "Mission Aufstieg" steht. Die beiden Mädchen haben wenig zu tun, von dem Shirt geht keines über die Theke. Die Menschen essen lieber Bratwurst oder spannen ihre Schirme auf. Das Titelblatt der Stadionzeitung ziert eine Kerze. Daneben steht: "Schenkt uns ein Licht in dunkler Zeit."
Die jüngere Geschichte von Union Solingen ist die Geschichte eines Zerfalls. Seit 1990 folgte Insolvenz auf Insolvenz. Die dritte konnte erst vor zwei Jahren abgewendet werden, die Schulden sind geblieben. Jedes Jahr werden jetzt 60.000 Euro abbezahlt, noch bis 2013 soll das so gehen. Bei einem Gesamtetat von 180.000 Euro ist das keine leichte Übung.
Doch trotz aller Bemühungen droht dem Niederrheinligisten nun das Aus. "Eine Lohnsteuerprüfung des Finanzamtes hat ergeben, dass wir rund 70.000 Euro nachzahlen müssen", sagt Union-Boss Andreas Sonius. "30.000 Euro können wir durch Zusagen von Geldgebern selbst stemmen, für die restlichen 40.000 Euro benötigen wir Hilfe."
Die Forderung bezieht sich auf die Jahre 2005 bis 2007, als Sonius und seine Vorstandskollegen gar nicht amtierten. "Das Finanzamt akzeptiert dieses Mal keine Ratenzahlung", erklärt Sonius, "deshalb müssen sich Stadt und Wirtschaft jetzt bekennen, ob sie höherklassigen Fußball in Solingen möchten." Wenn Hilfe ausbleibt, müsse Union Solingen Mitte Januar Insolvenz anmelden, so Sonius.
Die Niederrheinliga ist jene Spielklasse, in der demnächst auch der ehemalige Bundesliga-Torschützenkönig Ailton für den KFC Uerdingen auflaufen wird. Der Brasilianer hat gesagt: "Ganz Deutschland lacht, dass ich jetzt in der sechsten Liga spiele." In Solingen wären sie schon froh darüber, wenn Deutschland wenigstens mal wieder über sie lachen würde.
Das gesamte Team wechselt zur Konkurrenz
Im Frühjahr war alles noch anders: Im Spiel gegen TuRU Düsseldorf siegte der damalige Tabellenführer 5:0. Im Kader standen: Dennis Prostka, Miguel Lopez-Torres, Ede Yotla, Serdar Özdemir, Samuel Sibilski, Marc Sesterhenn, Markus Weiss, Sinisa Nedeljkovic und Domenico Cozza. Der spanische Torjäger Lopez-Torres traf dreimal. Und im Sommer wechselten sie alle zusammen zur TuRU.
Sonius war im Februar zum Präsidenten gewählt worden. Seine erste Maßnahme waren Gehaltskürzungen von über 50 Prozent. Im Frühjahr strömten die Zuschauer noch zu Union, manchmal kamen sogar 1300, die Mannschaft spielte begeisternden Fußball, stand an der Tabellenspitze, aber ein neuer Geldgeber blieb nicht hängen. Der Sponsorenpool auf der Stadionwand weist bis heute nur ein paar regionale Unternehmen aus, eines davon heißt: "Prinz Siggi aus Gräfrath". Etwas wenig für eine Stadt mit 160.000 Einwohnern.
Sonius ist angestellter Geschäftsführer einer großen Firma für mobile Toilettenhäuschen. Er hat bis zur A-Jugend selbst im schnuckeligen Stadion gespielt. Die ehemaligen Spieler sagen: Er kennt sich leider nicht aus im Fußballgeschäft. Er selbst sagt: "Wir hätten die Spieler einfach nicht bezahlen können."
Bei frustrierten Traditionsvereinen wird ständig über die besseren Zeiten geredet. In Solingen, wo der frühere Nationalspieler Thomas Brdaric von März bis August dieses Jahres ein kurzes Gastspiel als Sportlicher Leiter und Interimscoach gegeben hat, werden die Erinnerungen mit einem Bild garniert. Mit wem man auch spricht, stets kommt die Sprache auf die Zeit zwischen 1975 und 1989.
"14 Jahre zweite Liga, das ist das, was für uns zählt", singen die Union-Fans gerne. Damals war die Bude voll. "Die Menschen saßen sogar in den Bäumen", ist bei Union ein geflügeltes Wort. Die Ersatztribünen wachsen auch heute noch neben dem Kassenhäuschen in den Himmel. Früher war die Heimstätte für 16.500 Menschen zugelassen, aber gegen Schalke beispielsweise kamen 20.000. Trikots persönlich aus der Wäscherei geholt
Im kargen VIP-Raum steht die Zweitliga-Legende Werner Lenz, dessen Schnurrbart noch ähnlich prächtig sprießt wie damals. Der Goalgetter zeigt auf Bilderrahmen: "Hier auf dem Foto bin ich drauf, und auf dem, und auf dem." Zwischen 1975 und 1983 erzielte er 95 Tore in 235 Spielen, spielte zusammen mit Gerd Zimmermann und Wolfgang Schäfer. Die Trikotwerbung verhieß: Qualität made in Solingen.
Frank Zilles. (RS-Foto: Below)
Frank Zilles, der 35 Zweitligaspiele für den Wuppertaler SV bestritten hat, sitzt im Clubheim von TuRU Düsseldorf. Er hat zuletzt zwei Jahre lang Solingen trainiert, jetzt trainiert er eine Union-Filiale. Wenn er am Spielfeldrand steht, schaut er meistens sehr streng. Er selbst verortet sich eher bei Felix Magath als bei Jürgen Klinsmann. Zilles hat keinesfalls irgendwelche Ergänzungsspieler mitgenommen, sondern ausnahmslos Stammpersonal. Die Kicker wussten im Sommer nicht, wie es in Solingen weitergeht, also haben sie ihn angerufen. Er betont: "Ich wollte Solingen nicht zerrupfen."
Wenn er gewollt hätte, hätte er alle Spieler holen können, behauptet er. Zilles wohnt weiterhin in Solingen, sein Sohn spielt in der B-Jugend von Union. Vergangene Saison hat er die Trikots noch persönlich aus der Wäscherei geholt und gefaltet, war Trainer und Sportlicher Leiter in Personalunion. Er ist durch den Wechsel sportlich und finanziell vorwärtsgekommen, aber es wirkt so, als wäre er noch nicht ganz zu Hause.
Im Herbst spielten sie erstmals gegen ihren alten Klub. Wieder endete das Spiel 5:0, nur diesmal für TuRU. Im Kader standen: Dennis Prostka, Miguel Lopez-Torres, Ede Yotla, Serdar Özdemir, Samuel Sibilski, Marc Sesterhenn, Markus Weiss, Sinisa Nedeljkovic und Domenico Cozza. Torjäger Lopez-Torres traf einmal. Hinterher war TuRU Erster und Solingen Letzter.