Deshalb kann sich Bresche auch nicht vorstellen, dass der Sturm der Entrüstung so groß sei, wie es in den Diskussionen immer gesagt wird. „Da sind dann vielleicht 500 Leute bei mehreren Zehntausend dabei, die ein bisschen Radau machen. Aber die Zahl derjenigen, die den Spieler dann gegen solche Anfeindungen verteidigen, ist um ein Vielfaches größer“, glaubt er. Und die vom DFB angeratene Vorgehensweise, sich nach Saisonende zu outen, um in der Sommerpause Gras drüber wachsen zu lassen, hält er für vollkommen verkehrt. „Ich denke eher, dass der Spieler dann einfach keine Sommerpause hat. Denn der Löwenanteil der Aufregung um ein Outing kommt von den Medien.“ Das hätte man bei Hitzlsperger gut beobachten können, der im Anschluss von einer Talkshow zur nächsten zog, in Podiumsdiskussionen saß und zu Interviews gebeten wurde. Die Fans dagegen hätten sich nicht so lange mit diesem Thema aufgehalten. Auch er selbst sei dessen schnell schon wieder überdrüssig gewesen. „Dass er damit an die Öffentlichkeit gegangen ist, ist ja okay. Aber dann hat er es einmal gesagt und gut ist. Wozu muss man denn da lange drüber reden? Mich interessiert doch auch nicht, was Uli Borowka oder Udo Lattek so in ihrem Privatleben machen.“
Geht Privatsphäre überhaupt jemanden etwas an?
Diese Argumentation, dass Sexualität als intimes Detail Teil des Privatlebens sei und deshalb niemanden etwas angehe, wird häufig ins Feld geführt. Allerdings wird dabei missachtet, dass das Outing eines auf der großen Bühne des Profifußballs aktiven Spielers nicht zuletzt als gesellschaftlicher Fortschritt hin zur unbedingten Toleranz und Gleichbehandlung der Menschen gewertet werden kann. Als eine Art entgegengesetzter Reflex auf die allgemeine Sensationsgier hatte der „kicker“ nach Hitzlspergers Outing mit seinem genau diese Haltung einnehmenden Kommentar seinerzeit großen Unmut hervorgerufen. Denn diese Einstellung – so nachvollziehbar sie auch ist – negiert, dass Homophobie, also die „Angst“ oder Abneigung vor/gegenüber Schwulen tatsächlich ein gesellschaftlicher Missstand ist.
Im Grunde genommen geht die sexuelle Neigung eines Individuums tatsächlich niemanden etwas an, doch die Bekanntmachung kann zu etwas so Formlosem wie einem Allgemeingut werden, gesellschaftlichen Interessen dienen. Die Rechtmäßigkeit dieser Instrumentalisierung von Individuen ist wiederum ein ethischer Streitpunkt. So tief möchte Daniel Bresche gar nicht erst in die Thematik einsteigen, schließlich kann er damit im alltäglichen Gespräch mit anderen Kreisliga-Spielern oder Zuschauern niemanden überzeugen. „Das Akzeptieren von Homosexualität ist doch nichts anderes, als Menschen nicht zu diskriminieren, weil sie schwarz, grün oder sonst etwas sind.“ Sicherlich seien Amateur- und Profifußball zwei paar Schuhe, schon allein wegen dem unterschiedlichen Maße an Aufmerksamkeit. Aber, da ist sich Bresche sicher, die Wurzel des Problems liegt trotzdem im Amateurfußball. „Das muss man nicht bekämpfen, sondern daran arbeiten. Denn diejenigen, die gegen uns Schwule wettern, sind ja auch nur normale Menschen.“
Deshalb setze der DFB auch am falschen Ende an. „Die haben Psychologen, mit denen man reden kann. Aber das Problem sind doch nicht die Schwulen, sondern die, die etwas gegen Homosexualität haben.“ Mit seinen Erfahrungen kann er anderen Schwulen natürlich nur dazu raten, sich zu outen. „Aber ich weiß, dass das leichter gesagt ist, als getan. Letztlich muss man sich selbst sicher sein, sich gut fühlen. Und wenn man weiß, dass Freunde und Familie einen unterstützen, dann können einem auch ein paar Idioten nichts anhaben.“ Er selbst kennt aus seinem Freundeskreis auch Männer, die sich aus diesem oder jenem Grund nicht outen wollen. „Vieles davon ist nur vorgeschoben. Aber das ist die gesellschaftliche Komponente. Wenn alle Menschen gleich behandelt werden, fällt es leichter zu sich zu stehen – und wer zu sich steht, outet sich.“
"Akzeptiert ist Homosexualität erst, wenn man nicht mehr drüber sprechen muss."
Im Laufe des Gesprächs ist Bresche deutlich anzumerken, dass er schon seit einigen Jahren offen homosexuell lebt. Er spricht wie selbstverständlich von etwas, vor dem sich viele andere noch so sehr fürchten, dass es sie bis in die Depression treibt. Um den Schritt an die Öffentlichkeit zu erleichtern und die gesellschaftliche Akzeptanz voranzubringen, hat der Werder-Fan das „Tolerance Tournament“ in Mülheim auf die Beine gestellt. Dort, auf dem Platz des Dümptener TV, sollen sich am 26. Juli Mannschaften aller Couleur, Senioren, Alte Herren, Frauen, Schwule miteinander messen – aber vor allem einander besser kennenlernen. „So eine Schwulenmannschaft kann auch mal einen Kreisligisten abziehen“, meint Bresche. „Diese Vorurteile, wir seien weich, sind nicht mehr als Klischees, geprägt von den bunten Vögeln unserer Szene. Wir können genauso ackern, grätschen und bolzen wie jeder andere Mann auch.“
Am liebsten würde er ja überhaupt kein Theater um das Schwulsein veranstalten. Aber solange es nötig ist, fordert er die Toleranz ein: „Akzeptiert ist Homosexualität doch erst, wenn man nicht mehr drüber sprechen muss. Aber Anfragen der Presse zeigen, dass wir so weit noch nicht sind.“ Wie jeder andere Weg muss auch dieser Schritt für Schritt gegangen werden. Die Debatte darum kann von Leuten wie Daniel Bresche nur profitieren.