15 Spiele, zehn Siege, ein Remis, vier Niederlagen, ein Punkteschnitt über zwei Zähler pro Partie: Ersan Parlatan verlässt den Wuppertaler SV mit einer hervorragenden Bilanz.
Warum es den 46-jährigen Fußballlehrer aus Berlin aus der Regionalliga West Richtung des türkischen Fußball-Unterhauses nach Ankara zu Keciörengücü zieht, erklärt er im RevierSport-Interview.
Ersan Parlatan, was hat am Ende den Ausschlag gegeben, dass Sie dem Wuppertaler SV den Rücken gekehrt haben?
Ich würde das nicht so formulieren, dass ich dem Wuppertaler SV den Rücken gekehrt habe. Ich sehe es anders. Nämlich so, dass sich die Ziele des Vereins mit denen von mir nicht mehr abgedeckt haben. Deshalb musste ich eine Entscheidung für mich treffen. Es war im Winter klar, dass ich komme, um in die 3. Liga aufzusteigen. Das war auch das Ziel des WSV. Zur Vertragsunterschrift waren die Bedingungen dafür auch gegeben. Aber jetzt ist es fast zu einer 50-prozentigen Etatkürzung gekommen. Die Ziele waren nicht mehr deckungsgleich.
Wie blicken Sie auf ihre sechs Monate in Wuppertal zurück?
Grundsätzlich blicke ich sehr positiv auf die WSV-Zeit zurück. Ich bin davon überzeugt, dass die Mannschaft eine richtig gute Entwicklung vollzogen hat. Sie hat in der Struktur und Organisation auf dem Rasen eine klare Handschrift mit auf den Weg bekommen.
Grundsätzlich sollten die Fans nicht vom Aufstieg träumen. Das macht der Verein auch nicht. Man muss zusehen, dass man auf die eigenen Füße kommt und dann auch so lebt. Alles andere wäre fatal.
Ersan Parlatan
Was trauen Sie der neuen WSV-Mannschaft in der kommenden Saison zu? Dürfen die Fans trotz des reduzierten Etats vom Aufstieg träumen?
Grundsätzlich sollten die Fans nicht vom Aufstieg träumen. Das macht der Verein auch nicht. Man muss zusehen, dass man auf die eigenen Füße kommt und dann auch so lebt. Alles andere wäre fatal. Aber ich traue der Mannschaft einiges zu. Es bleiben ja richtig gute Jungs an Bord, hinzu gibt es interessante Neuverpflichtungen mit jungen und hungrigen Spieler. Da passt schon die Mischung. Ich wünsche dem WSV nur das Beste.
Hätten Sie sich das Ziel 3. Liga mit einem Etat zwischen 1,2 und 1,4 Millionen Euro zu erreichen nicht zugetraut?
Was den Etat anbelangt, muss ich das revidieren. Mir wurde zeitnah ganz klar gesagt, dass man einen Etat von 900.000 Euro zur Verfügung hat und mit dem Geld auch in die Gespräche geht. Ich wusste wie teuer der aktuelle Kader war. Dementsprechend haben sich für mich in der Struktur des Kaders und in der Planung der zukünftigen Mannschaft viele Fragen gestellt. Klar, man kann auch mit weniger Geld erfolgreich arbeiten. Aber das hat nichts mit dem zu tun, was man sich zutraut, sondern eher mit der Ausrichtung des Vereins. Mir wurde da klar kommuniziert, dass man eher auf Konsolidierung und Verjüngung der Mannschaft aus ist. Deswegen hat es für mich nichts mit zutrauen zu tun, sondern eher mit Realismus.
Mir wurde zeitnah ganz klar gesagt, dass man einen Etat von 900.000 Euro zur Verfügung hat und mit dem Geld auch in die Gespräche geht. Ich wusste wie teuer der aktuelle Kader war. Dementsprechend haben sich für mich in der Struktur des Kaders und in der Planung der zukünftigen Mannschaft viele Fragen gestellt.
Ersan Parlatan
Inwiefern ist die zweithöchste Spielklasse in der Türkei attraktiver als ein Job bei einem deutschen Viertligisten wie dem WSV?
Definitiv ist der Job in der zweithöchsten türkischen Liga attraktiver als der in der deutschen 4. Liga. In allen Bereichen, was das Sportliche betrifft wie Strukturen, Stadien, Bedingungen ist die 2. türkische Liga der vierten Spielklasse in Deutschland weit voraus. Ich muss für mich eine Entscheidung treffen und habe sportlich entschieden.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ankara?
Ankara Keciörengücü ist ein sehr gesunder Verein. Ich finde hier tolle Trainingsbedingungen vor, inklusive eines neuen Trainingsgeländes. In der Türkei ist der Klub dafür bekannt, dass sie junge Spieler verpflichten, sie entwickeln, ihnen eine Plattform bieten und sie dann weiter verkaufen. So definiert sich der Verein. Wir wollen oben mitmischen und um die sieben Playoff-Plätze spielen. Der Verein wollte einen Trainer, der auch im Ausland seine Erfahrung gesammelt, aber auch schon in der Türkei Erfolge nachgewiesen hat. So ist der Klub dann auf mich gekommen. Die Anfrage hat mich sehr geehrt.
Sie haben überall, wo Sie gearbeitet haben, gute Arbeit geleistet. Meistens sind Sie aber kurz bei den Vereinen zugegen. Warum?
Danke, dass Sie das so sehen. Das weiß ich sehr zu schätzen. Aber das ist auch statistisch belegbar. Klar: Ich frage mich auch, warum ich nicht länger bei einem Klub arbeiten konnte, um diesen kurzzeitigen Erfolg auch über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Die Frage kann ich teilweise beantworten, teilweise aber auch nicht. Es ist ja immer so in diesem Job, dass man auch mal in schlechten Phasen freigestellt wird. Aber auch, wenn man diese Phasen nicht hat, entscheidet sich der Verein gegen den Trainer. Das war zum Beispiel so bei den Kickers Offenbach. Da waren wir völlig im Soll. Aber der Verein hat mich entlasten. Im vergangenen Sommer musste ich bei Bandirmaspor nach der ersten Niederlage meinen Stuhl räumen. Das konnte niemand im türkischen Fußball nachvollziehen. Aber das muss man akzeptieren. In Steinbach hätte ich sicherlich länger arbeiten können, aber dann kam das Angebot als Co-Trainer des 1. FC Nürnberg. Ich glaube, dass das dann nicht verwunderlich ist, wenn man als Regionalliga-Trainer zu einem Zweitligisten wechseln will. Ich bin als Fußballlehrer sehr ambitioniert und möchte immer auf dem höchsten Level arbeiten.
Der Mensch und auch der Trainer muss aus seiner Lage immer das Beste machen. Es ist aber für mich schon so, dass man in der Türkei eine bessere Lebensqualität hat. Das fängt ja beim Wetter an. Zudem gibt es schöne Urlaubsorte, die man schnell erreicht. Vom Lifestyle ist das schon eine bessere Lebensqualität
Ersan Parlatan
Werden Sie eigentlich jetzt eine Karriere als Cheftrainer anstreben oder ist die Position des Co-Trainers für Sie auch immer eine Option?
Grundlegend bin ich schon der Typ Chef- statt Co-Trainer. Aber ich habe auch super Erfahrungen als Assistent gesammelt. Da möchte ich mich auch nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. Es muss einfach immer passen - sowohl als Chef- als auch Co-Trainer. Ich würde die Co-Trainer-Rolle nie ausschließen.
Ist für Sie das Leben in der Türkei als Trainer und Mensch eigentlich ein Stück mehr Lebensqualität als in Deutschland?
Es ist schwer, diese Frage zu pauschalisieren. Der Mensch und auch der Trainer muss aus seiner Lage immer das Beste machen. Es ist aber für mich schon so, dass man in der Türkei eine bessere Lebensqualität hat. Das fängt ja beim Wetter an. Zudem gibt es schöne Urlaubsorte, die man schnell erreicht. Vom Lifestyle ist das schon eine bessere Lebensqualität. Aber, nochmal: Der Mensch muss das Beste aus seiner persönlichen Situation machen, dann kann man überall viel Lebensfreude und Lebensqualität haben.
Was werden Sie in Zukunft an Deutschland und vielleicht auch Wuppertal vermissen?
Ich werde natürlich am meisten meine Familie vermissen, die in Berlin bleiben wird. Aber auch meine Freunde und mein Umfeld, auch aus Wuppertal. Hier habe ich auch tolle Leute kennengelernt. Ich hatte dort wirklich eine gute Zeit - sowohl um den WSV herum als auch in der Stadt. Ich werde das schon vermissen und immer ein Auge darauf haben, was in Wuppertal los ist. Aber ich werde auch Deutschland vermissen. Deutschland ist mehr für mich Heimat als Türkei. Ich fühle mich Berlin sehr hingezogen. Das ist meine Stadt. Aber innerhalb von knapp vier Stunden bin ich mit dem Flieger in Deutschland - das ist alles kein Problem.