Wie entstehen überhaupt neue Gesänge und wie wichtig ist dabei ein Alleinstellungsmerkmal?
Hier und da sitzt manch einer zu Hause auf dem Klo oder steht unter der Dusche und dann kommen die gewissen Geistesblitze. Nein im Ernst, die meisten Sachen entstehen eher spontan oder werden auf Auswärtsfahrten mal im kleineren Kreis getestet, denn es ist schon irgendwie wichtig ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Man will schlussendlich auch etwas Besonderes sein und seinen Verein nicht mit denselben Songs repräsentieren, die in jedem anderen Stadion auch gesungen werden. Das Rad neu zu erfinden ist aber nicht möglich, daher nimmt man bekannte Melodien und versucht diese auf sich maßzuschneidern. Ehrlich gesagt machen wir uns da aber gar nicht so die Gedanken drum und lassen es nicht zu einer Wissenschaft ausarten wie manch andere Gruppen / Fanszenen. Essen ist halt nach wie vor nicht die Fanszene, die ein dickes Liederbuch hat und eine minutiöse Playlist führt, wie man es bei manch anderem Verein manchmal vermutet. Im Kern ist es eine Mischung aus Dauergesängen, richtigen Liedern mit mehreren Strophen und den klassischen Schlachtrufen, welche - auch wenn uns das als Gruppe gern vorgeworfen wird, dass es nicht so sei - je nach (Spiel)laune und Verlauf variieren.
Wie gefällt euch das neue Stadion insgesamt und die neue West im Besonderen?
Sagen wir es mal so: es hätte besser kommen können, es hätte uns aber auch wesentlich schlimmer treffen können. Wir stehen seit geraumer Zeit mit Verein und GVE sehr eng in Kontakt, gerade Letztere hat uns recht früh kontaktiert, um Gespräche aufnehmen zu können. Sowohl der Kontakt zum Verein als auch zur GVE waren und sind sehr konstruktiv, können aber leider - in 2013 ganz normal - nicht alle fanrelevante Themen komplett befriedigen. Dass die West vor Wellenbrechern nur so strotz und es auch Blockbegrenzungen gibt, ist nun mal dank Versammlungsstättenverordnung und diversen anderen Gegebenheiten eigentlich unumgänglich. Auch der Zaun zum Spielfeldrand ist so eine Sache, mit der wir nicht glücklich sind, da dieser eben nicht nur unansehnlich, sondern auch gefährlich ist. Wir haben vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass wir nur auf den ersten Verletzten warten, da auch im Gästeblock der baugleiche Zaun steht und der ein oder andere Zuschauer in der Praxis halt doch mal den Zaun besteigt. Dies ist mittlerweile geschehen und hat die ersten aufgerissenen Hände mitgebracht. Auch die Zwischenzäune auf der Westtribüne sorgen weiter für Unmut, rauben sie doch Platz zur freien Entfaltung der Besucher auf der Tribüne, bergen sie zugleich aber auch Risiken. So kamen bei einem Sturz eines Besuchers die Sanitäter durch den Zaun erst gar nicht an den Verletzten ran, sondern mussten umständlich durchs Stadioninnere um helfen zu können. Da können manchmal wertvolle Minuten verrinnen. Im Übrigen sind mehr Ordner auf der Tribüne nicht die Lösung des Problems, sondern tragen vielmehr nur zum Unbehagen der Zuschauer bei, wenn man zum Beispiel alle fünf Meter seine Karte vorzeigen und sich so rechtfertigen muss, ob man im richtigen Block steht. Die Zäune gehören einfach weg! Mit einem gewissen Maß Selbstverantwortung klappt das auch für alle Parteien, wie man auf der alten Osttribüne sehen konnte! Gerade in der letzten Saison haben die Essener Stehplatzbesucher auf der Sitzplatztribüne gezeigt, dass es auch ohne Zaunbegrenzung zum Spielfeldrand geht. Schade, dass man der Fanszene also diese Chance nicht gibt, zumal man munkelt, dass der Zaun noch viel „extremer“ hätte ausfallen sollen, wenn es nach dem Willen der Polizei gegangen wäre. Von daher hätte es noch schlimmer kommen können. So hätte die Blockbegrenzung auf der West zum Beispiel auch mal locker zwei Meter hoch, oder der Zaun zum Spielfeld hin nach innen hin abgewinkelt und mit Stacheln versehen sein können. Generell ist natürlich auch so manche bauliche Gegebenheit zu bemängeln. Ein Mundloch direkt hinterm Tor ist ein Stimmungsloch, im wahrsten Sinne des Wortes. Da fragt man sich natürlich schon, ob man bei der Planung / Architektur auch mal an die Praxis gedacht hat, oder schlicht nach irgendwelchen (sinnfreien) Vorgaben gegangen ist. Ein Mundloch gehört nicht hinters Tor, hier gehören die Fans hin! Jetzt stehen ja auch wieder einige Sicherheitsexperten auf und wollen, dass noch mehr Ordner die Tribüne belagern. Da geht die Theorie an der Praxis so dermaßen vorbei, dass viele von uns keine Lust mehr haben, sich mit all dem zu beschäftigen. Größter Kritikpunkt ist aber sicherlich, dass wir Fans in die Planung des Stadions nicht ansatzweise einbezogen wurden, obwohl das im Vorfeld immer mal wieder zu hören war, Gespräche hin oder her. Hier hätte sicherlich das ein oder andere anders oder zusätzlich geplant werden können, was nicht unbedingt mit exorbitanten Kosten verbunden gewesen wäre. Eine dicke Chance auf Mitbestimmung also leider verpasst. Positiv ist allerdings zu nennen, dass die GVE diese Defizite teilweise wahrgenommen hat und in persönlichen Gesprächen mit uns überlegt, was man im Nachgang noch verbessern kann. Wir haben es in unserem Interview auf jawattdenn.de im Sommer bereits gesagt und bisher hat sich da nicht viel getan: müsste man heute ein Fazit zum neuen Stadion ziehen, würde es negativ ausfallen. Generell zum Stadion ist im Endeffekt nur das zu sagen, was man überall schon mal in irgendeiner Form gelesen hat. Es ist alles sehr steril. Heimisch fühlt sich von uns noch keiner und es wird sicherlich noch lange dauern, bis dies der Fall sein wird, wenn überhaupt. Gerade den Älteren unter uns, eben denen, die ihre ersten Spiele in den 90ern an der „alten“ Hafenstraße gemacht haben, fällt es sichtlich schwer, sich mit dem neuen Stadion anzufreunden. Es bedarf also noch viel Zeit; bis wir ein richtiges Fazit ziehen können.
Ihr habt euch stark mit der Initiative GMS solidarisiert. Nun ist der Erhalt der Haupttribüne des Georg-Melches-Stadions nicht durchgekommen. Damit gibt es auch keine Vereinsgaststätte mehr. Was bedeutet das für euren Spieltag? Wo trefft ihr euch vor Heimspielen?
Wenn man die Frage so stellt, müsste man ehrlicherweise sagen, dass es keine Bedeutung für uns hat, da wir am Spieltag nicht wirklich Gast in der Vereinsgaststätte waren. Aber es zeigt ein generelles Problem der Fanszene auf. Die RWE-Fans sind quasi heimatlos. Das neue Stadion ist nüchtern betrachtet ein steriler Bau ohne Möglichkeiten für Fans mal ein Treffen oder eben dem Smalltalk beim Feierabendbier abzuhalten. Momentan haben wir mit unserem Info-Stand an der Gabelung von Haupt- und Westtribüne eine Art Treffpunkt am Spieltag installiert, aber da die Bauarbeiten noch nicht beendet sind, ist auch das eine unbeantwortete Frage. Fakt ist jedenfalls, dass den Fans eine Anlaufmöglichkeit geboten werden muss. Selbst ein Kreisligist verfügt über ein Vereinslokal direkt am Platz. Wir setzten unsere Hoffnung in das einst geplante Fanhaus, welches neben dem Fanprojekt (dieses momentan übergangsweise in einem Container beherbergt ist) auch den Fans ausreichend Platz bieten und sich idealerweise direkt am Stadion befinden soll. Davon ab haben wir uns mit der GMS-Ini nicht solidarisiert, sondern sind dort selbst mit an Bord und nach wie vor aktiv. Auch wenn unser Georg-Melches-Stadion nicht mehr steht, gibt es genug Möglichkeiten, die Erinnerungen aufrecht zu halten und daher kämpfen wir an allen Ecken und Enden, dass zumindest die Umgebung um das neue Stadion nicht eine sterile Parkplatzlandschaft bleibt. Hierzu haben wir unendlich viele Stücke aus dem alten GMS gesichert und eingelagert. Hier suchen wir nach geeigneten Verwendungszwecken im und rund um das neue Stadion. Hierbei sind wir jedoch auf das Wohlwollen der GVE angewiesen, die hier aber in der Vergangenheit auch Entgegenkommen gezeigt hat.
Wie seht ihr die Entwicklung des Vereins, gerade im Zuge der fast schon krass sportwidrigen Aufstiegsregelung? Wie groß ist die Hoffnung, dass RWE innerhalb der nächsten Jahre aus der Regionalliga herauskommt?
Auch wenn der Spruch ausgelutscht ist, in Essen gilt er nach wie vor: die Hoffnung stirbt zuletzt. Klar ist die aktuelle Aufstiegsregel eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht für den Verein, der Meister wird, aber eben dennoch nicht aufsteigen wird, weil er die Relegation vergeigt hat. Diese Regel gehört unserer Meinung nach abgeschafft. Genau wie die Relegation in den oberen Ligen. Es geht hier ja auch nicht mehr um den sportlichen Vergleich, sondern einfach um den Fakt, dass man am Ende der Saison wieder eine „Show“ mehr hat, die man vermarkten kann. Im Zuge dessen kann man auch wieder darauf aufmerksam machen, dass die zweiten Mannschaften in den unteren Ligen eine Wettbewerbsverzerrung sind. Bei unserem Spiel gegen Leverkusen II haben zig Hochkaräter mitgespielt, die eventuell bei deren Spiel gegen Aachen gar nicht spielen. Man kommt sich unter der aktuellen Situation in der von uns liebevoll „Schweineliga“ genannten Staffel schon recht oft verarscht vor. Alles Jammern hilft aber nicht. RWE gehört nicht in diese Liga. In Essen muss mindestens dritte Liga gespielt werden. Auf lange Sicht gehört RWE eigentlich in Liga zwei. Aber so ist das mit dem Anspruch und der Wirklichkeit. Manchmal liegen sie weit auseinander. Momentan, trotz aktueller sportlicher Widrigkeiten, sind wir aber eher an einem stabilen Umfeld und der etablierten sportlichen Leistung, als dem kurzfristigen sportlichen Erfolg interessiert. Wir haben so viele Laberköppe an der Hafenstraße erlebt, die uns die Hand auf den Aufstieg gaben oder von einem Fünf-Jahres-Plan sprachen, dass wir nach der Insolvenz dann doch etwas geerdeter sind. Schaut Euch die DVD zu „100 Jahre RWE“ an. Da heißt es ziemlich am Ende, dass man RWE schon bald im neuen Stadion in der Bundesliga sieht. Kurze Zeit später waren wir insolvent und wussten gar nicht mehr, ob es überhaupt noch weiter geht. Man sieht an den Beispielen Duisburg und Aachen auch wieder, wie schnell es bergab gehen kann. Wir haben da ehrlich gesagt keine Lust mehr drauf, diesen Preis bezahlen zu wollen und schrauben daher lieber manchmal einen Gang runter, obwohl unser Ziel ganz klar die höheren Ligen sind.