Das tat weh! Am ersten echten Tiefpunkt seiner Himmelsstürmer-Karriere war Kai Havertz untröstlich. Das gellende Pfeifkonzert bei seiner Auswechslung beim 0:1 (0:0) gegen Hertha BSC hatte den 20-Jährigen offenbar mitten ins Herz getroffen. Die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, blickte er auf der Bank starr in den Leverkusener Abendhimmel und schien um sich herum nichts wahrzunehmen.
Seine Bosse und Kollegen verteidigten das wohl größte deutsche Fußball-Talent, für das es in seiner dreijährigen Profi-Karriere zuvor immer nur aufwärts gegangen war. „Ich glaube nicht, dass die Pfiffe Kai galten“, behauptete Trainer Peter Bosz: „Vielleicht galten sie mir, weil ich ihn ausgewechselt habe.“
Das hatten im ersten Moment viele gedacht, weil ein solcher Liebesentzug für den Fanliebling in Leverkusen lange undenkbar schien. „Mir war zunächst nicht klar, dass ihm das galt“, sagte Abwehrchef Sven Bender. Doch nach dem Schlusspfiff machten die Fans den Spielern klar, dass ihre Ablehnung Havertz gegolten hatte. Und diesem war das offenbar sofort klar gewesen.
Nationalmannschafts-Kollege Jonathan Tah ärgerte sich maßlos über das Verhalten der eigenen Fans. „Ich find's scheiße“, sagte der Innenverteidiger: „Das bringt nichts. Und es wird auch nicht dazu führen, dass er motivierter ist. Der Junge ist 20 Jahre alt. Das ist nicht schön für ihn. Aber wir müssen es in der Kabine schaffen, ihn aufzubauen.“
Dass Havertz sich in einer Krise befindet, lässt sich durch Zahlen stützen. Seit zwölf Pflichtspielen war der Offensivspieler, der in der vergangenen Saison in 42 Spielen 27 Scorer-Punkte sammelte, an keinem einzigen Tor beteiligt. Leichtigkeit, Selbstverständlichkeit, Selbstvertrauen, Dynamik - alles, was Havertz im Vorjahr auszeichnete, scheint wie ausgelöscht. Gegen Hertha lief er vor dem einzigen Tor Schütze Karim Rekik (64.) nicht hinterher. Viele Fans werfen ihm augenscheinlich vor, dass der von Top-Clubs aus ganz Europa Gejagte mit Leverkusen innerlich schon abgeschlossen hat.
Routinier Bender bestreitet das jedoch. „Ich habe nicht das Gefühl, dass er mit dem Kopf woanders ist“, sagte der 30-Jährige: „Dass er sich Gedanken um seine Zukunft macht, ist normal. Das darf man ihm nicht übel nehmen.“ Ob die jüngste Schwächephase die Bewerber wie Bayern München, den FC Liverpool oder den FC Barcelona nachdenklich macht oder ob sie zumindest die von Bayer erhoffte Ablösesumme von rund 130 Millionen Euro drückt, bleibt abzuwarten.
Havertz hatte auch das Pech, dass seine schwächste Leistung in einer schwachen Phase auf generellen Fan-Frust traf. Schon vor dem Spiel hatten die Fans der Mannschaft in einem offenen Brief attestiert, sich für die Leistung beim 0:2 im Derby in Köln schämen zu müssen. Auf Plakaten wurden die Spieler als „Derby-Versager“ bezeichnet. „Das war alles angemessen. Ich habe mich auch geschämt“, sagte Sven Bender: „Aber wir dürfen uns dadurch jetzt nicht rausbringen lassen.“
Das gilt vor allem auch für Kai Havertz. „Das ist eine schwere Phase für ihn“, sagte Bender: „Aber wir helfen ihm da raus.“ dpa