Im Grunde müsste doch Ihr Leben angesichts der vielen Konzerne, die in Essen zuhause sind, viel leichter sein?
Welling: Eigentlich haben wir die besten Voraussetzungen aller Revierstädte. Wir haben in der Quantität die meisten Unternehmen, wir haben in der Gesamtwirtschaftskraft die größten Unternehmen, wir haben nach München die zweitmeisten DAX-Unternehmen. Aber natürlich gucken die sich rechts und links um. Evonik ist ein Essener Unternehmen und wirbt bei Borussia Dortmund auf der Brust.
Ist das der Preis, den man für 20 Jahre in der sportlichen Versenkung zahlen muss?
Welling: Es ist doch illusorisch zu glauben, dass Evonik sagt; Wir sind ein Essener Unternehmen, deshalb müssen wir RWE Geld geben. Das ist doch Quatsch. Es geht darum, die Marke Evonik populär und sexy zu machen, und da gehe ich nicht in die 4. Liga und sage: RWE, mach meine Marke bekannt. Das können wir doch gar nicht leisten. Ich gehe also nach Dortmund und erziele dort positive Imagewerte. Wir müssen das anders lösen, wir sind deshalb inzwischen sehr breit aufgestellt. In der Insolvenzsaison vor zwei Jahren hatten wir gut 90 Partner, jetzt sind es dreimal soviel.
Warum geben die Menschen einem Verein wie RWE, der wirtschaftlich über Jahrzehnte hinweg vor die Wand gefahren worden ist, sogar in der Insolvenz noch Geld?
Welling: Das ist ja gerade das Geile, was den Fußball ausmacht. Fußball ist ein irrationaler Bereich, weit weg von der Rationalität. Gerade in so einer Verlust-Situation sagen viele Leute: jetzt erst recht. Weil sie nicht wollen, dass ein Stück des eigenen Lebens, der eigenen Sozialisation verloren geht. Man hat heute vielleicht mehrere Beziehungen und Ehen, mehrere Arbeitgeber. Man wechselt die Wohnorte. Aber nicht den Verein. Fußball bietet Identität. Die Leute haben etwas, woran sie festhalten können.
Man kann Fußball nicht verstehen? Welling: Ich versuche seit 20 Jahren, meiner Frau zu erklären, warum ich Fan bin. Es geht nicht, weil ich kein einziges Argument habe. Fußball kannst du nicht erklären, den musst du fühlen.