Nein, wie genau die Holztribüne ihren Weg zum OSV Hannover fand, das konnte Ole Kuhlwein bis heute nicht herausfinden. Das Mitglied des Ältestenrats des Vereins war selber noch ein Kind und wohnte außerhalb der niedersächsischen Hauptstadt, als Anfang der 70er Jahre eine Holztribüne im traditionsreichen Dortmunder Stadion Rote Erde demontiert und im über 200 Kilometer entfernten Hannoveraner Oststadtstadion wieder aufgebaut wurde.
Rund fünf Jahrzehnte lang bot die imposante Konstruktion Zuschauern bei Heimspielen des OSV Platz im Trockenen — bis Gutachter sie im vergangenen Sommer für einsturzgefährdet erklärten. Im Herbst wurde die Tribüne abgerissen. „Das war ein schmerzhafter Anblick“, sagt Kuhlwein, der die Abbauarbeiten regelmäßig vor Ort beobachtete. „Der Verein hat die Tribüne geatmet und gelebt.“
Nur das Dach ist übrig geblieben und erinnert an die Tribüne, die sich über die gesamte Länge des Spielfeldes erstreckte. Einst jubelten und litten auch Fans von Borussia Dortmund auf der Tribüne. Sie war 1966 in der „Roten Erde“ installiert worden, um dem steigenden Zuschauerinteresse gerecht zu werden. Als der BVB in das für die WM 1974 neu gebaute Westfalenstadion umzog, wurde die Holztribüne überflüssig - und landete im Hannoveraner Stadtteil Bothfeld.
Warum sie ausgerechnet in der über 200 Kilometer entfernte OSV-Spielstätte kam? „Der damalige Hauptsponsor wollte den Verein professionalisieren und hat jede Menge Geld in einen Stadionumbau investiert“, sagt Kuhlwein. Das Vereinsumfeld habe gute Kontakte in Ruhrgebiet geführt. Und so führte wohl eins zum anderen. Zeitzeugen, die bei der Anlieferung des Bauwerks anwesend waren, konnte Kuhlwein trotz Recherche bis heute ebenso wenig ausfindig machen wie Dokumente zum Erwerb.
OSV Hannover: Glanzzeiten in den 70er Jahren
Mit der neuen Tribüne wurde die Sportanlage des OSV zum Stadion, und die Hannoveraner erlebten ihre Glanzzeiten: Sie spielten in den 70er Jahren zeitweise zweitklassig und im DFB-Pokal, Schalke 04 oder der Hamburger SV kamen zu Freundschaftsspielen, der berühmte US-Sänger Harry Belafonte zu einem Fotoshooting.
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Über 6000 Zuschauern fanden auf der Tribüne Platz. Ausgeschöpft wurde die volle Kapazität nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga 1981 nur noch selten. Bis in die Kreisliga stürzte der damals finanziell angeschlagene OSV ab. Heute tritt der Verein in der sechstklassigen Landesliga an und profitiert vor allem von seiner Jugendarbeit. 200 bis 300 Zuschauer verfolgten im Schnitt die Heimspiele zuletzt. „Für die Landesliga war die Tribüne völlig überdimensioniert“, findet Kuhlwein. „Sie hat einen gewaltigen Eindruck gemacht.“
Eine tragische Geschichte, die uns im Verein sehr bewegt hat
Ole Kuhlwein - über den Leichenfund unter der Tribüne
Dass sie aufgrund des für den Bau verwendeten Fichtenholz niemals hätte zugelassen dürfen, ergab erst ein Gutachten rund 50 Jahre nach dem Aufbau. Komplikationen traten erstmals 2010 auf. Ein technischer Effekt verursachte einen größeren Brand. Die Tribüne überlebte und erhielt bei der Sanierung sogar ein Upgrade: einen VIP-Bereich mit Glasfront und integrierter Gastronomie.
Das 100-jährige Vereinsjubiläum im vergangenen Herbst sollte die Tribüne allerdings nicht mehr erleben. Im Rahmen der Planungen überprüften Gutachter die Konstruktion. Das Resultat: akute Einsturzgefahr, sofortige Sperrung, keine Chance auf eine erneute Renovierung. Und ein gruseliger Fund: Unter der Tribüne wurde eine bereits skelettierte Leiche entdeckt. Es handelte sich um die Überreste eines Obdachlosen, wie Ermittlungen ergaben. „Eine tragische Geschichte, die uns im Verein sehr bewegt hat“, betont Kuhlwein.
Noch keine konkreten Pläne für Neugestaltung
Ende des Jahres rollten dann die Bagger, innerhalb weniger Tage machte ein Abrissunternehmen die Tribüne dem Erdboden gleich. Bis auf „ein paar Bretter und einen Stützbalken“ ist dem OSV laut Kuhlwein nichts geblieben. Die weiteren Überbleibsel entsorgten die Arbeiter fachgerecht, Borussia Dortmund oder DFB hätten sich nicht um die geschichtsträchtigen Reliquien bemüht. Die FUNKE Mediengruppe hat sich hingegen originale Holzteile gesichert, die unter allen Bestellern unseres Digital-Pakets (E-Paper + PLUS) verlost werden.
Nun hat der OSV Hannover viel freie Fläche unter dem Tribünendach, das stehen geblieben ist. Um die Neugestaltung machen sich Verein sowie die Stadt als Eigentümer derzeit Gedanken, einen spruchreifen Plan gibt es noch nicht. Sollte dort erneut eine Tribüne entstehen: Vielleicht hätte Borussia Dortmund noch eine abzugeben.