Doch der Boulevard wurde enttäuscht. Statt Hauen und Stechen gingen die 609 anwesenden Mitglieder mit den Protagonisten fair und sachlich um. RS sprach mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Peter Villis über die Versammlung, die Gegenwart und über die Zukunft des Klubs.
Hans-Peter Villis, wie bewerten Sie die JHV mit ein wenig Abstand? Ich war positiv überrascht, mit welcher Sachlichkeit die Mitglieder die derzeit sportlich schwierige Lage bewerten. Sicher hat es in der Vergangenheit ganz andere JHVs gegeben. Jetzt aber liegt es an der Mannschaft, dem großen Vertrauensvorschuss gerecht zu werden. Unsere Mitglieder haben ein feines Gespür entwickelt, wie schwierig es ist, einen Klub wie den VfL wirtschaftlich am Leben zu halten. Wir haben jedenfalls am Montagabend viel Rückhalt für diesen schwierigen Weg erhalten.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die wirtschaftliche Situation entspannt. Wie war dies möglich? Nachdem wir für das abgelaufene Jahr eigentlich eine Unterdeckung von einer Million Euro einkalkuliert hatten, hat sich die Situation durch Transfereinnahmen deutlich verbessert, so dass wir letztlich sogar einen Gewinn von 1,2 Millionen Euro erwirtschaften konnten. Damit belaufen sich unsere Gesamtverbindlichkeiten auf 6,7 Millionen Euro.
In der laufenden Saison rechnen Sie sogar mit einem doppelt so hohen Überschuss. Worauf begründet sich Ihr Optimismus? Die 2,6 Millionen Euro Plus, die wir planen, setzen sich im wesentlichen aus der zweiten Hälfte des Goretzka-Transfers zusammen.
Wenn man die Zahlen, die der VfL durch Leon Goretzka erwirtschaftet hat, addiert, entsteht der Eindruck, dass der VfL für sein Talent weit mehr bekommen hat, als die immer wieder erwähnten 2,75 Millionen Euro. Wir haben zu Vertragsinhalten keine Stellung bezogen und werden das auch nicht tun. Wir halten unsere Absprachen ein, aber wenn die JHV nachrechnet, dann wird sie schnell auf die tatsächlich gezahlte Ablösesumme der Schalker für Goretzka kommen. Können Sie die Zahl von rund fünf Millionen Euro also bestätigen? Nein, ich werde sie aber auch nicht dementieren. Wichtig für den VfL ist das TV-Ranking, wo jede Verbesserung rund 350.000 Euro einbringt. Wie plant der VfL da? Erst einmal so, dass wir im Vergleich zum Vorjahr unseren Platz halten. Wenn wir vor Paderborn landen, könnten wir uns um einen Platz verbessern, wenn wir aber hinter Cottbus und den FSV Frankfurt zurückfallen, könnten wir uns natürlich auch um 750.000 Euro verschlechtern.
Sie wollen die wirtschaftliche Situation des VfL weiter verbessern. Gibt es im Bereich Sponsoring Aktivitäten? Ja, wir stehen mit einem Touristik-Unternehmen und mit einem Automobil-Unternehmen in intensiven Gesprächen und ich mache mir große Hoffnungen, dass daraus auch Verträge werden.
Bei all diesen Bemühungen täten sportliche Erfolge dem Verein richtig gut. Genau das ist der Punkt. Wir müssen jetzt schleunigst sehen, dass wir in die Spur kommen und gute Leistungen auch zu Punkten führen. Es darf nämlich nicht so weit kommen, dass aus Enttäuschung Frust wird. Der Aufsichtsrat ist überzeugt davon, dass wir mit Christian Hochstätter und Peter Neururer die richtige sportliche Führung haben und deshalb werden wir auch bei den momentan stürmischen Herbstwinden standhaft bleiben und nicht bei Gegenwind gleich umkippen. Ich bin überzeugt, dass wir kurzfristig die sportliche Talfahrt der letzten Spiele beenden können, denn wir haben gewusst, dass ein Neuaufbau nicht von heute auf morgen über die Bühne geht.
Eine große Herausforderung
Haben Sie angesichts der schwierigen sportlichen Situation schon einmal bereut, beim VfL in die vorderste Front getreten zu sein? Ich bin damals angetreten, um nachhaltig an Bord zu bleiben. Natürlich denkt man nach so einem Erlebnis wie zuletzt in Aue, was man sich da angetan hat. Aber dann überwiegen die positiven Dinge. Wir haben vieles angestoßen und auf den Weg gebracht, um den VfL wieder nach oben zu führen. Das ist eine große Herausforderung, der ich mich stelle.