Auch in der ewigen Liste der königsblauen Torjäger hatte „Abi“ seinen Eintrag als jüngster Schütze bis vor wenigen Monaten sicher. Doch dann kam Julian Draxler.
17 Jahre und 117 Tage war der Youngster jung, als er zum Rückrundenauftakt der vergangenen Saison in der 83. Minute des Spiels gegen den Hamburger SV eingewechselt wurde. Damit knackte das Schalker Eigengewächs die alte Bestmarke von Abramczik aus der Saison 1973/1974 um 57 Tage. Den Sprung in eine andere Welt aber erlebte Draxler zehn Tage später. Als er im Viertelfinal-Heimspiel des DFB-Pokals gegen den 1. FC Nürnberg drei Minuten nach seiner Einwechslung in der Verlängerung den fulminanten 3:2-Siegtreffer erzielte, nahm der Hype um das neue Schalker Supertalent hysterische Züge an. Ein halbes Dutzend Kamerateams standen am anderen Morgen im Heisenberg-Gymnasium in Gladbeck auf der Matte und filmten den Stuhl, auf dem der Zwölftklässler bis dahin immer gesessen hatte.
Doch im neuen Jahr war dieser Platz leer geblieben. Felix Magath hatte Draxlers Eltern angeraten, den vor einer großen Profikarriere stehenden Teenager von der Schule zu nehmen. Der Vorschlag sorgte deutschlandweit für heiße Diskussionen, von Hamburg bis München war die Reaktion fast einhellig: Experten wie Fans waren entsetzt.
Draxler und Schalke entschieden sich auf sanften Druck des NRW-Schulministeriums zum Wechsel auf die Gesamtschule Berger Feld, wo der junge Mann nun sein Abi bauen kann, ohne den Fußball vernachlässigen zu müssen.
Nach dem Weggang von Manuel Neuer ist Draxler inzwischen zusammen mit Benedikt Höwedes der Hoffnungsträger schlechthin in der Schalker Mannschaft. Beide haben die Jugendteams der Königsblauen durchlaufen und stehen nach dem Durchbruch in der Bundesliga für das riesige Potenzial, das der Klub in seiner Nachwuchsabteilung immer wieder findet. Die ersten fußballerischen Schritte machte Draxler beim Gladbecker Vorortverein BV Rentfort und bei der SSV Buer, ehe er sich in der F-Jugend dem FC Schalke anschloss. Als er in der Hinrunde der vergangenen Saison in der U19 regelmäßig glänzte, lud ihn Magath gegen Ende des Jahres erstmals zum Probetraining bei den Profis ein. Mit seinem Bubigesicht könnte Draxler zwar noch Werbung für den Pickelentferner Clearasil machen, doch wenn er den Ball am Fuß hat, wirkt er wie ein Großer der Szene.
Technisch versiert und mit einer hohen Spielintelligenz ausgestattet, macht Draxler vielen gestandenen Profis schnell etwas vor. Weil er aus dem Mittelfeld heraus den direkten Zug zum Tor hat, sind Wahnsinnstreffer wie der gegen Nürnberg oder das Tor des Monats im Pokalfinale gegen Duisburg keine Zufallsprodukte. Nachdem Draxler in der zurückliegenden Serie schon auf 15 Bundesliga-Einsätze gekommen war, er aber noch keinen Stammplatz innehatte, darf man von ihm in der Zukunft noch viel mehr erwarten.
Im offensiven Mittelfeld wird es allerdings zwischen Jurado, Rückkehrer Lewis Holtby und ihm ein ziemliches Gerangel um wohl nur zwei freie Posten in der Mitte sowie links geben. Draxler hat das Zeug dazu, sich trotz dieser starken Konkurrenz dauerhaft in der ersten Elf durchzusetzen.
Und sollte ihm nicht eine schwere Verletzung oder ein unerwarteter Leistungseinbruch dazwischen kommen, kann er in ein paar Jahren einmal das Gesicht des FC Schalke werden. Da hätte selbst „Abi“ inzwischen keine Einwände mehr.