Endstation Sehnsucht! Tatsächlich, da stand „Endstation Sehnsucht“ unter dem Bild vom Mailänder Domplatz in meinem persönlichen Fotoalbum aus dem Jahr 1997. Nur gut, dass ich meine Frau damals noch nicht kannte. Sie sah das Fotoalbum mit den Erinnerungen an den UEFA-Cup-Triumph in Mailand zu Beginn der Woche das erste Mal und schüttelte den Kopf.
Zur Vorbereitung auf das Spiel gegen Inter Mailand hatte ich meinen alten Ordner mit der Eurofighter-Tour aus der Saison 1996/97 wieder hervorgeholt. Und je länger ich in dem Sammelsurium aus Zeitungsartikeln, Andenken und Devotionalien blätterte, kamen die Gefühle von damals wieder hoch, als Olaf Thon, Marc Wilmots und Ingo Anderbrügge den UEFA-Cup nach Gelsenkirchen holten.
Hühnerpelle hätte Co-Trainer Eddy Achterberg wenig später zur Gänsehaut gesagt. Aber der war damals noch nicht dabei. Und plötzlich sehe ich mich wieder mit dem Bus über den Brenner fahren, die Zähne auf der Raststätte mit den Händen säubern, weil eine Zahnbürste ja den so dringend benötigten Platz für Bier nur unnötig verkleinert hätte. Dann sehe ich meine beiden Begleiter. Sie sind heute Oberärzte in renommierten Kliniken. Damals waren sie Studenten.
Über 20.000 Menschen machten sich auf den Weg über die Alpen, um den größten Erfolg der Vereinsgeschichte zu erleben. Der riesige Domplatz und die edle Einkaufspassage Victorio Emmanuelle II. waren mit über 10.000 Fans fest in königsblauer Hand. „Die friedliche blaue Invasion veranstaltete einen derartigen Zirkus, wie ihn selbst die Weltstadt selten vor einem Fußballspiel gesehen hat“, schrieb damals der Reviersport.
14 Jahre später darf ich wieder den FC Schalke zu einem Auswärtsspiel bei Inter Mailand begleiten. Gut, es ist kein Finale. Aber dass ein Viertelfinale in der Champions League nur 4.000 Anhänger aus den Sesseln hebt, hat mich dann doch ein wenig gewundert. Bei genauem Hinsehen ist das aber angesichts des anstehenden Pokalfinales leicht erklärbar.
14 Jahre später steige ich also erneut die Treppenstufen zur Domplatte in Mailand hoch. Und bin enttäuscht. Der Vorplatz der Kathedrale ist nur spärlich gefüllt. Die damals reihenweise mitgebrachten blau-weißen Kerzen fehlten völlig. Immerhin finde ich zwei junge Schalker, die es zumindest mit einem der Wachsstäbe versuchen, die man vor Ort gegen eine kleine Spende erstehen kann.
Ich merke, wie ich mich beginne, an einzelne Begebenheiten von 1997 zu erinnern und sinniere eine Zeit lang vor mich hin. Bis ich einige Althirsche traf, die wie ich in der Vergangenheit schwelgten, ansonsten war hier eine andere Generation auf dem Domplatz vertreten. Ich suchte auch das Gespräch mit den Jüngeren. Schnell durfte ich feststellen, dass sie mit dem gleichen Enthusiasmus, dem gleichen Kribbeln und der gleichen Vorfreude im Bauch dabei sind, wie wir früher.
Nicht das Spiel und seine Zelebrierung hatten sich verändert, sondern ich. Heute habe ich im Gepäck sogar Platz für Oliven und Souvenirs für meine Lieben. Und plötzlich ertönte der Schlachtruf „Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon“ über den Domplatz, da war sie wieder, meine Gänsehaut.
Mailand, als Endstation Sehnsucht? Ja, so war das!