Nein, es sind das kindische Gezänk um einen angeblich nicht regulär bespielbaren Stadionrasen und die zahllosen Versuche der versammelten Fußballexperten, Kevin Kuranyi doch noch in die Nationalmannschaft schreiben zu wollen, die ein säuerliches Aufstoßen verursachen.
Als die Bayern in ihrer neuen Hightech-Arena die Erfahrung machen mussten, dass alle frommen Wünsche nicht helfen konnten, den ausgelegten Rasenteppich unbeschadet über die erste Frostperiode zu retten und sogar eine Platzwahl wiederholt werden musste, weil die vom Schiedsrichter geworfene Münze senkrecht im Matsch des Anstoßkreises steckengeblieben war, beschränkte sich die allgemeine Kritik lediglich auf leisen Spott. Ziemlich genau drei Jahre später wird ein weitaus weniger ramponiertes Spielfeld zum öffentlichen Politikum. Von Wettbewerbsverzerrung ist die Rede, von einem Verstoß gegen die Lizensierungsvorgaben. Arminia Bielefeld, so hört man aus München, habe ein im Kern vergleichbares Vergehen mit Punktabzug bezahlen müssen.
Das erste Spiel „seiner“ Schalker hat Thorsten Lueg 1972 in der alten Glückauf-Kampfbahn verfolgen können - und dann auch noch gleich das legendäre Pokalhalbfinale gegen den 1.FC Köln. Seit dieser Zeit hat er fast sämtliche Heimspiele des S04 vor Ort miterlebt. Ein Dauerkartenplatz in der VELTINS-Arena und der Besuch möglichst vieler Auswärtspiele runden die nackten Zahlen seines heutigen Fanlebens ab. Doch seine Vita weist Unstimmigkeiten auf. Im äußersten Nordwesten Dortmunds geboren, nur wenige Kilometer Luftlinie vom Borsigplatz entfernt zur Penne gegangen, das Geld fürs Studium als Taxifahrer auf den nächtlichen Straßen der Westfalenmetropole verdient, ist die verbotene Stadt für den heute in Essen lebenden Revierbürger stets die heimatliche Scholle geblieben - aber auch der beste Grund, mit ganzem Herzen königsblau zu denken und zu träumen. Einen größeren Beweis für seine Liebe zum FC Schalke 04 kann es nicht geben!
Herr Rummenigge, ich helfe Ihnen gerne beim Rechnen: Sechs Punkte müsste Schalke am grünen Tisch verlieren, damit der FC Bayern selbst bei einer Niederlage am kommenden Samstag absolut narrensicher Meister wird. Und für Bayer Leverkusen lassen wir uns – falls notwendig – auch noch etwas Passendes einfallen. Wie schaut es mit störenden Lichtreflexen in den Hotelfensterscheiben der BayArena aus, die den Nationalmannschaftsstürmer Klose eventuell an der Fortsetzung seiner schier sagenhaften Torquote gehindert haben könnten? Wäre doch gelacht, wenn sich die geballte Investitionsstrategie des FC Bayern nicht endlich auszahlen würde! Schließlich muss alles seine Ordnung haben, auch in der Tabelle. Deutsche Gründlichkeit in Reinkultur. Prinzipientreue bis zum Exzess.
Da fällt die Überleitung zum Thema Kuranyi nicht sonderlich schwer. Pünktlich zu Ostern darf sich der momentane Top-Torjäger der Liga Hoffnungen auf eine sportliche Wiederauferstehung im Nationalmannschaftstrikot machen. Aber nicht etwa deshalb, weil an diesen jährlich stattfindenden Besinnungstagen die Vergebung ohnehin gerade Hochkonjunktur hat. Und auch nicht deshalb, weil sich eine moderne Zivilisation in der Hauptsache durch den Akt der Gnade von Barbarei unterscheidet. Erst die schmucklose Statistik erzielter Tore hat das nationale Gewissen milde stimmen können. Bei soviel naturgegebener Bereitschaft zur Einsicht kann es kaum überraschen, dass die Kommentatoren nicht zu wissen scheinen, bei wem sie sich zuerst anbiedern sollen: Der Kevin muss – natürlich – unbedingt mit zur WM, doch nicht ohne zuvor ausdrücklich festgestellt zu haben, dass der Jogi – natürlich! – die einzig richtige Entscheidung traf, als er über einen emotional ganz offensichtlich vollkommen überforderten Kuranyi die Höchststrafe verhängt hat.
Solche moralischen Verbiegungen sind elendiger als jede kopflose Tribünenflucht! Als Kuranyi von Löw dem Fußballvolk zum Fraß vorgeworfen wurde, war sich jeder darüber im Klaren, dass die eigentliche Bestrafung nur in der Dauer der Ächtung und Verbannung lag. Genau für diese Konsequenz und nichts anderes wurde der Bundestrainer bejubelt. Entweder war Löws Richterspruch richtig, oder er war falsch. Entweder wahrt man das Gesicht, oder man wird es im Falle einer Nominierung Kuranyis verlieren. Denn aus der Nummer kommt nur 'raus, wer schon im Oktober 2008 der Meinung war, dass der Bundestrainer aus persönlich verletzter Eitelkeit gehandelt hat. Wer jedoch dem strammen Jogi damals Beifall klatschen musste, sollte sich heute bitte, bitte nicht für die Aussicht auf ein besseres Abschneiden bei der WM prostituieren!
Frohe Ostertage und drei Punkte für Königsblau gegen die Vertretung des Münchner Grünflächenamtes!