Schlapphut, runde Brille - ist das nicht Georg Melches? Er ist es. Zu diesem für ihn so schmerzhaften Abschied ist also auch der Chef persönlich zugegen. Sein Konterfei trägt Jörg Lawrenz auf einem roten T-Shirt so wie andere Kubas Revolutionsführer Che Guevara auf der Brust tragen. Kein Zufall. Vergebens hatte sich Lawrenz für den Erhalt der Haupttribüne des Georg-Melches-Stadions stark gemacht; seine (Fan-)Initiative lief ins Leere. Was ihm bleibt, ist Protest und zu retten, was noch zu retten ist. So schleppt er eine verblasste Sitzschale und ein Stück Mauerwerk von der Abbruchbaustelle an der Hafenstraße: „Das ist wie die Berliner Mauer.“
Andere Mauerspechte sind nicht zu sehen. Sie kämen auch gar nicht so einfach auf das mit Bauzäunen gesicherte Gelände. Zwei Zaungäste schießen Erinnerungsfotos. Allzu viele Gelegenheiten dafür gibt es nicht mehr. Ende Mai wird das traditionsreiche Stadion vom Erdboden verschwunden sein.
Übrig bleiben 11 000 Kubikmeter Bauschutt, der mit 80 000 Kubikmetern Bodenmasse 6,5 Meter hoch aufgeschüttet und verdichtet wird, damit darauf bis Ende des Jahres der Parkplatz für das neue Stadion gebaut werden kann. Tobias Klick von der mit der Durchführung des Abrisses beauftragten Asmus + Prabucki - Ingenieure Beratungsgesellschaft betet Zahlen und Massen herunter so nüchtern wie ein Buchhalter. Welch’ Gegensatz zur rot-weißen Gefühlswelt eines Jörg Lawrenz und der wohl zahlreicher RWE-Fans, auch wenn sie mit der Entscheidung, das Stadion niederzulegen, längst ihren Frieden gemacht haben sollten.
Sporthistorisch sei das Georg-Melches-Stadion ein bedeutender Ort, schwärmt Lawrenz, was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die einst in Anspielung an die Spielstätte von Arsenal London als deutsches Highbury gefeierte Fußballarena eine abbruchreife Ruine war, lange bevor die Bauarbeiter mit ihrem Abbruchwerkzeug anrückten. Das freitragende Dach, bei der Eröffnung 1956 als bautechnische Innovation gefeiert und in den letzten Spielzeiten unter strenger Beobachtung der städtischen Bauaufsicht, darf auf Anordnung des Statikers nicht betreten werden. Ein letzter Rundgang durchs Innenleben der einstigen Multifunktionstribüne ist nicht nur für rot-weiß beseelte Besucher deprimierend.
Die Umkleidekabine, in der schon „Boss“ Helmut Rahn die Fußballstiefel schnürte - komplett leergeräumt. Das Zimmer, in dem Willy Lippens übernachtete – ein fensterloses Loch. Lediglich die nahezu originalgetreu erhaltene holzvertäfelte Sporthalle gibt noch einen Eindruck davon, dass es sich einst um das modernste Stadion des Landes handelte. Davon übrig geblieben ist wenig - ein Wandgemälde im Eingangsbereich zur Geschäftsstelle, Jahrzehnte versteckt hinter einer Sponsorentafel, und der tonnenschwere, mannshohe Tresor der Gut. Kellner Soehne Geldschrankfabrik aus Wuppertal-Barmen. Hat hier der alte Melches die Spielergehälter verwahrt?
Die städtische GVE hat zugesagt, beides, Gemälde und Geldschrank, zu sichern. Was sich sonst noch retten ließ, haben Lawrenz und seine Mitstreiter für die Nachwelt beiseite geschafft. Und sei es nur ein Stück Mauer.