Manchmal kann man Erleichterung in Dezibel messen. 6508 Zuschauer (handgezählte 45 Schalke-II-Anhänger ausdrücklich ausgenommen) feierten Rot-Weiss Essens 1:0-Erfolg mit einem Siegesgeheul, das den ganzen Frust der letzten Wochen herausschleuderte. Allein die Darbietung der RWE-Akteure vermochte die Fans freilich nicht zu Jubelarien zu animieren. Dennoch war es ein Sieg wie auf Bestellung.
Ein ums andere Mal hatten Trainer und Spieler einen schmutzigen Sieg besungen und herbeigesehnt. Bitte sehr! Viel dreckiger kann ein Sieg kaum zustande kommen. Trübes Novemberwetter, holpriger Boden, Hau-Ruck und Rumpelfußball. Die entscheidende Spielszene fügte sich nahtlos ins freudlose Milieu. Kevin Grund flankte scharf vors Tor, Frank Fahrenhorst mühte sich redlich, mit der Fußspitze vor dem einschussbereiten Lukas Lenz zu retten und nahm dafür sogar ein Eigentor in Kauf (73.). "Wie das zustande gekommen ist, ist eigentlich ganz egal. Wir haben diese Situation ja erzwungen", argumentierte RWE-Coach Waldemar Wrobel.
Die folgenschwerste Szene des ersten Durchgangs spielte den offensichtlich verunsicherten Hausherren dabei jedoch nicht unerheblich in die Karten. Wohl nur er selbst weiß, was Alexander Langlitz motivierte, sich nach 33 Minuten mit seinem zweiten überflüssigen Vergehen kurz hinter der Mittellinie derart überzeugend für die Gelb-Rote Karte zu bewerben. Dass der Unparteiische Sven Jablonski (Bremen) den Schalker frühzeitig des Feldes verwies, schlug sich zunächst aber nicht in den Kräfteverhältnissen nieder. Gerade wenn die Gäste versuchten, das Spiel schnell zu machen, schaute RWE oft nur hinterher, profitierte aber von der Verspieltheit der Knappen. "Ich war überrascht, wie toll meine Mannschaft kombiniert hat, wie toll sie das Spiel angegangen ist", bemerkte Schalkes Trainer Bernhard Trares. "Wenn man eine knappe Stunde in Unterzahl spielt, ist es natürlich schwer." Im Abschluss agierte Schalke zu harmlos und verstand es nicht, die von RWE immer wieder großzügig angebotenen Räume zu nutzen.
Ein Symptom, das den Essenern auch bekannt ist, wenngleich die Diagnose Sturmproblem allein die Problematik bei RWE nicht ausreichend beschreibt. Auch wenn Wrobel den Gästen ein Aufstellung gewordenes "Auf sie mit Gebrüll" entgegenschleuderte und erstmals Benedikt Koep, Güngör Kaya und Lukas Lenz gemeinsam in die Startformation beorderte, fehlte dem Tabellenvorletzten die viel zitierte Durchschlagskraft, mithin aber oft auch das Zeug, Chancen überhaupt erst zu kreieren. Erst in Überzahl konnte RWE den Gästen wirklich gefährlich werden, beklagte dann aber möglicherweise zurecht, dass der Schiedsrichter den Hausherren einen Elfmeter verweigerte, nachdem Lukas Lenz im Strafraum zu Fall gebracht worden war (62.). Ebenso hätte Kerim Avci bei einem Alleingang kurz vor Spielende auch einen Freistoß bekommen können - und Ersin Taskin, der den eingewechselten Essener unsanft stoppte, möglicherweise Rot für eine Notbremse.
Zwei Entscheidungen, die Wrobel trotz der drei Punkte keine Ruhe ließen. "Wenn mir der Spieler sagt: 'ich habe gefoult', dann ist das ein Elfmeter. Wenn mir der andere Spieler sagt: 'ich habe Avci gehalten und muss bei der letzten Aktion Rot sehen, dann sind das elementare Situationen. Und das sind keine Aussagen von unseren Spielern." Beim Blick auf die Anzeigetafel bewegte sich der Puls des 41-Jährigen aber allmählich wieder in gesundheitlich unbedenkliche Sphären. Denn die diskutablen Entscheidungen sollten nichts daran ändern, dass der 26. November 2011 ein guter Tag für Rot-Weiss Essen war. "Wichtig war nicht nur, dass wir gewonnen haben, sondern nicht zuletzt aufgrund dieser Dinge auch verdient als Sieger vom Platz gegangen sind." Viel wichtiger als das Resultat war jedoch vor allem das Erfolgserlebnis. Eine fußballerisch restlos überzeugende Vorstellung der Essener wäre nach den letzten Wochen ein restlos vermessener Anspruch. Vielmehr gründete der Jubel der Fans auf der Hoffnung, dass sich dieser Sieg anfühlte, als habe der das Zeug zur Wende.