Dritter Akt: die erste Halbzeit
Die Speldorfer beginnen furios, zeigen sich wenig beeindruckt von der Atmosphäre und legen die beste Anfangsphase seit vielen Jahren auf den Rasen. Nach Pass von Marco Ferreira läuft Damiano Schirru allein aufs Tor zu, doch RWO-Torwart Christoph Semmler pariert (5.). Zwei Minuten später: Pass von Ferreira, Krzysztof Benedyk schießt – Außenpfosten. Wieder zwei Minuten später: Synowiec plästert das Leder aus 25 Metern Entfernung aufs Tor, Semmler hat Probleme. In Minute elf sitzt der Ball. Christoph Ulrich passt auf Andreas Mansfeld und der kleinste Grün-Weiße schießt den Ball direkt aus 20 Metern in den rechten, oberen Winkel. 1:0, die hochverdiente Führung. Die Kleeblätter sind noch nicht im Spiel angekommen. Ab Minute zwölf lassen es die Speldorfer ein wenig ruhiger angehen, ziehen sich zurück. Die Dreier-Abwehr steht sicher. Stefan Janßen interpretiert die zentrale Rolle humorlos und bolzt den Ball oft weit aus der eigenen Hälfte. Christian Flöth und Rafael Synowiec kümmern sich im Raum um das gefürchtete RWO-Duo Terranova/Aksoy – und das sehr gut. Vor allem Synowiec ist sehr aufmerksam und gewinnt fast jeden Zweikampf. Im defensiven Mittelfeld räumen Mansfeld, Ulrich und Kapitän Andreas Egler auf. Hinter der einzigen Spitze Benedyk rochieren Ferreira, Schirru und Thorsten Schmugge ständig. RWO spielt 45 Minuten lang einfallslos und wirkt nicht wie ein ambitionierter Aufstiegsaspirant mit Ein-Million-Euro-Etat. Ein paar ungefährliche Fernschüsse – das ist alles, was RWO zu bieten hat. Symptomatisch: In der 37. Minute rennen sich Dimitrios Pappas und Jens Robben gegenseitig über den Haufen. Auf den Rängen ist alles ruhig. Pause. Vierter Akt: die zweite Halbzeit
Ein Ex-Speldorfer, der einst beim VfB unter dem jetzigen RWO-Coach Hans-Günter Bruns trainierte, weiß es genau: „Der Bruns kann ganz schön laut werden in der Kabine.“ Wurde er auch bestimmt. Bei RWO gibt es einen Wechsel: Jansen kommt für Tim Reichert. Doch zunächst gibt weiter Verwirrung bei RWO. In der 49. Minute hat Ferreira nach Zuspiel von Benedyk die erste Konterchance, doch er schießt vorbei. Speldorf spielt einige Konter nicht clever genug zu Ende, es bleibt beim 1:0. Die Sekunden verrinnen - es kribbelt an der „Blötte“.
In der 53. Minute explodiert die Atmosphäre. Fäuste fliegen, Kinder blicken entsetzt, das hat nichts mehr mit Fußball zu tun
In der 53. Minute explodiert die Atmosphäre. In der RWO-Kurve tummelt sich eine Riesen-Menschenmenge. Fäuste fliegen, Kinder blicken entsetzt, das hat nichts mehr mit Fußball zu tun. Wer war’s? Was ist passiert? Erste Gerüchte verbreiten sich, die Polizei hüllt sich in Schweigen. RWO-Stadionsprecher Knobloch bittet über das Mikrofon: „Bitte seid ruhig. Bitte bleibt fair.“ Sieben Minuten Pause. Weiter geht’s. Die Kraft der Speldorfer schwindet, nach der Unterbrechung drückt RWO. Bis zu Minute 70. Ein RWO-Fan liegt auf einmal im Speldorfer Tor. Die Polizei schreitet ein – wieder Schläge und Tumulte. Schiedsrichter Scheppe (Wenden) bittet die Kapitäne Andreas Egler (Speldorf) und Benjamin Reichert (RWO) zu sich. Via Mikrofon wird bekannt gegeben: „Bei der nächsten Ausschreitung wird das Spiel abgebrochen.“ Wie steht es eigentlich? Ach ja, immer noch 1:0. Ausschreitungen, weitere Auswechslungen, Fußball wird kaum noch geboten. RWO ist überlegen, aber nicht zwingend genug. 16.45 Uhr, die reguläre Spielzeit ist um. Scheppe reckt acht Finger in die Höhe – die längste Nachspielzeit in der Geschichte des Blötter Wegs. Minute 92: Ecke Nummer neun für RWO. Die Speldorfer klären nicht souverän genug, aus 20 Metern Entfernung hält Marc-André Narewsky drauf und trifft. 1:1. Dabei bleibt es. Aus, das Spiel ist aus. Ein denkwürdiges.
Fünfter Akt: das Nachspiel
Die RWO-Fans werden mit vier Bussen der Mülheimer Verkehrgesellschaft (MVG) zum Bahnhof kutschiert. Alle RWO-Fans? Nein, denn an der Kreuzung Blötter Weg/Saarner Straße werden sie von einigen Speldorfern attackiert. Die nächste Schlägerei. Nein, ein Fußballfest ist es längst nicht mehr. Mülheims Polizeisprecher Thomas Weise gibt es zunächst bedeckt. Nein, keine Auskunft über die Zahl der Einsatzkräfte, nein, keine Auskunft über die Vorkommnisse. „Ich hab bei revierkick.de richtig getippt“, merkt der nervöse und mitgerissene VfB-Vorsitzende Klaus Wörsdörfer an. Die Trainer schildern ihre Sicht, die Speldorfer Spieler bedanken sich bei ihren Fans.
Die Entscheidung, auf den RWO-Ordnungsdienst zu verzichten, war ein Fehler
Einfach mal auf die inzwischen verlassene Tribüne setzen, durchschnaufen und nachdenken. Wie ist eigentlich das sportliche Fazit? Speldorf hätte den Sieg verdient gehabt, RWO entführte glücklich einen Punkt. Spielnote: 3. Das Stadion am Blötter Weg war trotz der langen Planungsphase dem Ansturm nicht gewachsen und die Entscheidung, auf den RWO-Ordnungsdienst zu verzichten, ein Fehler. Zwei Stunden später: Die Nerven sind beruhigt, und Thomas Weise weiß Bescheid. Das erste Gerangel lieferten sich etwa 50 Fans und der Ordnungsdienst im RWO-Block. Die Polizei griff ein, es gab einen verletzten Beamten. Auslöser des zweiten Tumults war ein ins Speldorfer Tor getaumelter, alkoholisierter RWO-Fan – wieder rasselten 30 Fans und Polizisten – diesmal mit Hund – aufeinander. Resultat: drei verletzte Fans, einer mit Schlagstock, zwei durch Hundebisse. Am ganzen Tag gab es rund um das Spiel zwei Festnahmen, fünf Personen wurden in Gewahrsam genommen.
Es sollte doch ein ganz normales Fußballspiel werden. Wurde es aber nicht. Es war Amateurfußball der übleren Sorte. So, wie er nicht sein soll.
Auf Seite 3: Die Stimmen zum Spiel sowie der Medienspiegel