Die Weiten Kanadas wollte Daniel Kraus nutzen, um einmal ganz abzuschalten. Um nach einer aufreibenden, ersten Saison als Trainer des Frauenfußball-Bundesligisten SGS Essen den Kopf wieder frei zu kriegen. Doch so ganz aufgegangen ist der Plan nicht. Vor allem die zweite Hälfte der Spielzeit hat ihn auch am anderen Ende der Welt noch ins Grübeln gebracht: „Die Hinrunde war sensationell. Wie es danach lief, lag nicht nur am Verletzungspech, sondern an uns selbst.“
Genau dort will er nun den Hebel ansetzen. Und zwar mit aufgeladenen Akkus. Das merkt man Kraus deutlich an. Sechs Wochen Pause waren für ihn eine lange Zeit. Jetzt aber ist er voller Tatendrang. Und die Richtung gibt ihm der Vorstand gleich vor: Der Abstand zu den Top-Klubs der Eliteliga soll verringert werden. Kraus selbst hält sich mit sportlichen Zielen bedeckt. Nach einem personellen Umbruch müsse sich die Mannschaft erst wieder finden.
Drei Führungsspielerinnen verloren
In Charline Hartmann, Kozue Ando (beide Karriereende) und Vanessa Martini (Ziel unbekannt) hat die SGS bekanntlich drei langjährige Führungsspielerinnen verloren. Allerdings kamen im Gegenzug von Absteiger Bayer Leverkusen in Turid Knaak, Ramona Petzelberger und Marina Hegering drei ebenfalls gestandene Erstliga-Spielerinnen nach Essen. Zudem schafften Kim Sindermann, Alina Busshuven und Alida Dzaltur den Sprung aus der U17 zu den Frauen.
„Dass wir den Nachwuchs hochziehen und dann auch spielen lassen, unterscheidet unser Konzept von dem anderer Vereine. Bei uns ist die Talentförderung eine gelebte Sache“, erklärt Kraus. Und doch fordert er auch ein gewisses Maß an Demut ein: „Wir haben nicht das meiste Geld oder die teuerste Mannschaft.“ Was die SGS mittlerweile hat, sind drei Nationalspielerinnen: Linda Dallmann, Sara Doorsoun und Lisa Weiß.
„Für uns ist das ein zweischneidiges Schwert: Wir freuen uns natürlich für die Drei, aber im schlimmsten Fall sind sie so erst zwei Wochen vor dem Saisonstart bei uns.“ Das wäre zumindest für die SGS nicht optimal, zumal Kraus betont, dass sich nach den Abgängen die Hierarchien neu bilden müssen. Auf der Ebene des Managements ist der Findungsprozess abgeschlossen: Philipp Symanzik ist ab sofort neben Willi Wißing mit der Geschäftsführung betraut.
Ein halbes Jahr wollen sie die Geschicke gemeinsam lenken, bevor sich Wißing in den Ruhestand verabschiedet. Vor sechs Jahren noch heuerte Symanzik als Praktikant bei der SGS an und wechselte dann zum 1. FFC Frankfurt, wo er wichtige Erfahrungen sammelte. „Der freundschaftliche Kontakt ist aber nie abgerissen. Es ist für mich jetzt ein Schritt zurück, aber kein Rückschritt. Denn ich weiß, hier bei der SGS will man mehr“, sagt er.
Professionalisierung ist das Stichwort. Aber die definiert man in Essen anders als in Frankfurt. „Natürlich sind wir geil darauf, Erfolg zu haben. Aber wir ordnen dem nicht alles unter. Die SGS ist ein bodenständiger Verein mit gewachsenen Strukturen“, erklärt Symanzik. Erfolg dürfe daher nicht an einem Tabellenplatz oder der Punktzahl gemessen werden, sondern an einer positiven Entwicklung der Spielerinnen und des Umfelds. „Und da habe ich schon Ideen, wie man den Verein auf ein neues Level heben kann.“