Sie sind 1950 als Gastspieler mit Schalke 04 in Zagreb gewesen, 1951 hatte Sie der BVB mit auf eine Englandreise genommen. Warum haben Sie den Wechsel zu einem großen Verein nicht gewagt?
Ich habe den Vertrag mit dem BVB bis heute in meiner Schublade aufbewahrt. Ich hätte nur noch zu unterschreiben brauchen. Aber ich habe es nicht getan. Ich war ein Bulle von Stürmer, aber innerlich bin ich ein weicher Kerl. Ich war damals schon beim Sepp Herberger in der Sporthochschule Köln, um meinen Sport-Diplom zu machen. Herberger war mein guter Lehrmeister und hat mir viel fürs Leben beigebracht. „Jule, täuschen Sie sich nicht“, sagte er zu mir, „wenn Sie nach Dortmund oder Schalke kommen, werden Sie nur nach der Leistung beurteilt. Dann dürfen Sie nicht einschlafen beim Torschuss und erleben das erste Mal, was es heißt, 40.000 Zuschauer gegen sich zu haben. Sie gehen unter, wenn Sie bei einem großen Verein sind. Da werden Sie zerrissen.“ Herberger hatte damit Recht hatte und genau davor hatte ich Angst. Hier in Erkenschwick war ich König, in Dortmund wäre ich nur ein Arsch gewesen.
War der Fußball für Sie die Aufstiegschance?
Der Fußball hat uns in den Himmel gehoben. Ich war der Älteste von sieben Geschwistern und hatte keine schöne Kindheit. Meine Mutter starb 1934 an TBC, mein Vater war Bergmann auf Ewald-Fortsetzung, oft aber arbeitslos. Er war ein Säufer und brutal: „Fußball? Ich hab dich nicht in die Welt gesetzt, um Fußball zu spielen, sondern um die Familie zu versorgen“, hat er mir gepredigt und mir den Arsch voll gehauen. Als ich 20 Jahre alt war, wollte er mich noch einmal verprügeln, aber da habe ich gesagt: „Papa, pass bloß auf! Du hast mir so oft den Arsch voll gehauen, damit ist jetzt Schluss.“ Trotzdem hat er mir eine runter gehauen. Ich habe nicht zurückgeschlagen, aber das Haus verlassen und bin nicht mehr zurückgekehrt.
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Jule Ludorf in den Straßen von Erkenschwick (Foto: Vanja Vukovic)
In Ihrer Glanzzeit gab es keine Nationalmannschaft. Tut es Ihnen weh, kein Länderspiel nachweisen zu können?
Ich habe Herberger in Köln gefragt, warum er mich nicht mehr nominiert hat. Er sagte nur: „Jule, wie alt waren Sie?“ Das sagte alles, denn 1950 war ich schon 31 Jahre alt. So habe ich halt fünf Berufungen in die Westdeutsche Auswahl gehabt und zig Mal für Westfalen gespielt. Wie viele Tore ich geschossen habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich will gar nicht auf den Putz hauen mit meinen Toren, denn der Fußball hat sich verändert. Früher bin ich als Stürmer nie in die Abwehr gegangen. Heute muss jeder überall helfen. Wenn ich früher mit zurückging, schrie unser Mittelläufer Heinz Silvers sofort: „Bleib Du Arsch vorne!“
Jedenfalls war ich in Erkenschwick der Fußballkönig. Zahlen musste ich nie etwas. „Was haste auf’m Deckel? 50 Mark? Is schon gut!“ Als ich älter wurde, haben sie mich zur Kasse gebeten: „Jule, jetzt musst du bezahlen, jetzt kriegst du Rente.“ Reichtümer habe ich dabei nicht angehäuft, auch kein Haus gebaut, aber den Respekt und die Zuneigung habe ich mir erworben. Bis heute. Wenn ich zum Spiel ins Stimberg-Stadion gehe, rufen mir die Leute immer noch zu: „Ju-le, Ham-mer!“ oder „Jule, zieh dich um!“
An was erinnern Sie sich besonders gerne zurück?
Die vielen wunderbaren Spiele und die Kameradschaft von früher. Ich war ein konsequenter Hasser von Alkohol und Nikotin, aber ich war nicht gegen Rotwein. Wenn ich so zwei, drei getrunken hatte, dann war ich die Stimmungskanone. Nach den Spielen saßen die Spieler, der Vorstand und die Zuschauer zusammen, diskutierten, tranken und später hieß es dann: „Jule, stimm mal ein Lied an!“ Das gibt es heute nicht mehr.