Für viele ist er eine Notlösung, für ihn selbst ist es die Chance seines Lebens: Mirko Slomka, seit zwei Wochen Cheftrainer beim Vizemeister Schalke 04, arbeitet auf Bewährung. Führt er die Königsblauen noch in die Champions League, darf er bleiben. Schafft er es nicht, ist er arbeitslos. "Selbst wenn sie aus der Not geboren ist, kann man eine solche Chance nicht oft bekommen im Leben", sagt der 38-Jährige, der zuvor fünf Jahre lang Co-Trainer seines Vorgängers Ralf Rangnick war, im Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst (sid): "Auch wenn es nur ein halbes Jahr wird, diese Erfahrung kann mir keiner mehr nehmen."
"Wenn es nicht funktioniert, ist mein Name auch ganz schnell kaputt"
Als Cheftrainer in der Bundesliga zu arbeiten, sei ein großes Privileg, die unerwartete Beförderung auf Schalke "ein großes Glück, aber auch eine riesige Herausforderung, mich selbst in diesem Beruf zu etablieren". Dass die Zeit bis zum Saisonende im Mai über seine Zukunft entscheidet, ist Slomka bewusst: "Wenn es nicht funktioniert, ist mein Name auch ganz schnell kaputt. Aber das Risiko gehe ich gerne ein."
Dass schon etablierte Fußball-Lehrer wie Christoph Daum als Nachfolger im Sommer gehandelt werden, stört ihn nicht. Er verlässt sich auf die Zusage der Vereinsführung: Bei Erfolg wird der bis Ende Juni laufende Vertrag verlängert. Als Nobody sieht sich der gebürtige Hildesheimer, der bislang nur bei Tennis Borussia Berlin in der Regionalliga Cheftrainer war, ohnehin nicht. "Ich bin immerhin schon seit 16 Jahren im Geschäft. Viele Kollegen kennen mich, und ich bin in der Szene bekannt."
Talentspäher und loyaler Assistent
Bekannt war er bisher vor allem als Talentspäher, der bei Hannover 96 die heutigen Nationalspieler Sebastian Kehl, Gerald Asamoah und Fabian Ernst ausbildete, und als loyaler Assistent. Auch als "der nette Mirko", der als Rangnicks Co-Trainer immer ein offenes Ohr für die Profis hatte. Das hat sich geändert, auch wenn die Spieler ihn weiter duzen dürfen. Nach dem verkorksten Auftritt am vergangenen Wochenende beim Revierturnier des VfL Bochum lernten sie den neuen, den lauten Mirko Slomka kennen. "Ich denke, dass die Spieler schon ein paar deutliche Worte gehört haben."
Ein wenig mehr Distanz zu den Profis, die teilweise nur wenige Jahre jünger sind, sei in den zwei Wochen seit seiner Beförderung bereits entstanden. "Es gibt nicht mehr den ständigen Austausch über Klagen und Wehwehchen, da kommen nur noch vereinzelt Spieler zu mir." Den Weg weg vom Kumpel hin zum autoritären Chef will Slomka aber nicht bis zum Ende gehen. Eine Mischung aus beidem will er sich aneignen: "Ich kann ganz hart und laut sein, aber ich kann auch mit Spielern lachen und mal einen Flachs machen. So bin ich auch als Mensch, zu Hause mit meinen Kindern, das ist authentisch."
Fortbildung bei internationalen Topklubs
Gelernt hat er nicht nur von seinem langjährigen Chef Rangnick, sondern auch in diversen Trainingslagern internationaler Topklubs, in denen er sich fortbildete. Bei Cesare Prandelli beim AS Rom etwa habe ihn "das akribische, autoritäre Arbeiten an taktischen Feinheiten und die Disziplin auf dem Platz extrem beeindruckt". An Arsene Wenger bei Arsenal London faszinierte ihn, dass er Ähnliches mit einer anderen Arbeitsweise erreiche, "dabei ganz locker und entspannt" erscheine.
Ob hart und laut oder locker und entspannt - Slomka wird auf Schalke allein am Erreichen der Champions League gemessen. Für dieses Ziel hat der Pädagoge, der sein Lehramtstudium in Sport und Mathematik einst als Ski- und Tennislehrer finanzierte, bereits eine Hochrechnung aufgestellt: "Wenn wir drei, vier Punkte mehr als in der Hinrunde holen, können wir dieses Ziel noch erreichen. Ich denke, man braucht mindestens 65 Punkte." Derzeit liegt der Vizemeister mit 31 Zählern fünf bzw. sieben Punkte hinter dem Dritten Werder Bremen und dem Zweiten Hamburger SV.
Mit seinem Vorgänger Rangnick, der ihn öffentlich kritisierte und Zweifel an seinen Cheftrainer-Fähigkeiten äußerte, hat Slomka sich inzwischen ausgesprochen. Dessen taktische Ausrichtung, an der er selbst mitwirkte, will er beibehalten; auch in der täglichen Trainingsarbeit hat sich kaum etwas geändert, "die Trainingsplanung habe ich eigentlich schon immer gemacht".
Slomka zieht klare Grenzen
Unterscheiden will Slomka sich aber dennoch von seinem einstigen Chef, der sich etwa durch sein öffentliches Vorpreschen in Transferfragen bei Klubführung unbeliebt machte: "Ich kann ganz klar abgrenzen: Ich mache den Job mit der Mannschaft, alles andere ist nicht mein Feld."