Steffen Baumgart hat den 1. FC Köln seit seiner Ankunft im Sommer wachgerüttelt. Der Trainer wurde gefeiert und bejubelt. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht der 49-Jährige über das Fazit seiner ersten fünf Monate in Köln, aber er kritisiert auch Entwicklungen im modernen Fußball und eine falsche Kultur.
Frage: Herr Baumgart, Sie sind ein emotionaler Typ, der FC ist ein emotionaler Verein, aber hätten Sie gedacht, dass das erste halbe Jahr so emotional wird?
Antwort: Ich kann nicht sagen, dass ich völlig überrascht bin. Dass hier einiges auf mich zukommt, war mir vorher klar. Im Endeffekt war es genau so, wie ich es erwartet habe.
Frage: Besonders gespannt waren Sie auf den ersten Karneval...
Antwort: Ja, es war mein erster Karneval. Es dauert wohl ein bisschen, bis ich Fan werde.
Frage: Ihre Verkleidung als „Schweinhorn“ machte den Eindruck, als seien Sie schon etwas angefixt.
Antwort: Das hat mir schon Spaß gemacht. Jetzt ist es aber erstmal wieder vorbei. Jetzt lebe ich auch weiter, und zwar gut.
Frage: Und das Kölsch schmeckt inzwischen besser?
Antwort: Es ist nicht so, dass mir Kölsch nicht schmeckt. Ich bin halt Pils gewohnt. Aber man kann beides trinken.
Frage: Es gab vor der Saison auch andere Vereine, die an Ihnen interessiert waren. Würden Sie sagen, dass Sie die richtige Wahl getroffen haben?
Antwort: Das hätte ich nach einem Tag sagen können. Ich war mit meiner Entscheidung klar und glücklich, und habe mich nie gefragt, wie es woanders hätte werden können.
Frage: Wie fällt das sportliche Fazit nach zwölf Spielen aus?
Antwort: Man kann darüber diskutieren, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Grundsätzlich bin ich zufrieden mit den Jungs, ich bin nur unzufrieden mit dem ein oder anderen Ergebnis. Für mich ist es aber halb voll. Für mich ist entscheidend: Gibt es eine Entwicklung? Gehen die Jungs mit? Da funktioniert im Moment ziemlich viel.
Frage: Im Sommer wurden Sie schnell vereinnahmt und waren auf allen Kanälen zu sehen. Im „Sportstudio“, im „Kölner Treff“, als Experte bei „Amazon“, in Titelgeschichten wie bei „11 Freunde“ oder als Gewinner beim „Fußballspruch des Jahres“. Wurde Ihnen das irgendwann selbst etwas zu viel oder haben Sie die Öffentlichkeit genossen?
Antwort: Wenn du in Köln Trainer bist, kannst du dich der Öffentlichkeit nicht entziehen. Sonst kannst du hier kein Trainer sein. Es muss natürlich immer im Rahmen bleiben. Das Gefühl habe ich im Moment. Dass man Einladungen zu solchen Sendungen wahrnimmt, halte ich als Fußball-Trainer für normal. Und was mein Engagement als sogenannter Experte angeht: Ich habe für mich persönlich entschieden, gerne mal auf der anderen Seite zu stehen. Das probiere ich jetzt aus. Wenn es mir gefällt, schauen wir, ob es weitergeht. Und wenn es mir nicht mehr gefällt, ist es auch nicht schlimm.
Frage: Zuletzt schien es aber etwas weniger zu werden. War das eine bewusste Entscheidung?
Antwort: Ja. Ich habe mich etwas zurückgenommen. Es muss sich nicht alles auf eine Person fixieren. Deshalb habe ich das eine oder andere Interview zuletzt nicht geführt.
Frage: Gab es unter den Spielern Neid, dass immer der Trainer im Fokus der Öffentlichkeit steht?
Antwort: Ich glaube, dass die Spieler ganz froh sind, dass die Fokussierung auf anderen Personen liegt und nicht auf ihnen.
Frage: Sie haben inzwischen einen eigenen Bierdeckel oder einen eigenen Marsch. Sind das die Dinge, bei denen es Ihnen zu viel wird?
Antwort: Das nehme ich wahr. Aber ich bin ja nicht der erste Trainer, der auf einem Bierdeckel ist, den gibt es jede Saison. Und der Marsch war die Idee eines Künstlers.
Frage: Relativ schnell kamen Vergleiche auf wie „Jürgen Klopp von Köln“. Wie empfinden Sie das?
Antwort: Das ist Quatsch. Ich möchte mich nicht mit jemandem vergleichen. Und Jürgen Klopp sicher auch nicht. Nur, weil da zwei Trainer emotional sind. Jürgen Klopp ist ein überragender Trainer. Weil er überall etwas aufgebaut und entwickelt hat und nicht teuer eingekauft hat, um gut zu sein.
Frage: Der Vergleich rührt neben der Emotionalität sicher auch daher, dass ein Trainer, eine Person, einen Verein quasi wachgeküsst hat.
Antwort: Dann ist es ein schöner Vergleich. Ich finde aber, das war in Paderborn auch schon so. Nicht nur in Köln. Paderborn war plötzlich auch in aller Munde.
Frage: Gibt es eine Frage, die Sie nicht mehr hören können?
Antwort: Nein. Sie machen doch auch einfach ihre Arbeit. Wenn ich eine Frage dreimal gestellt bekomme, kann es sein, dass ich sie dreimal unterschiedlich beantworte. Je nachdem, was sich seitdem entwickelt hat.
Frage: Sie äußern sich auch öffentlich zu politischen Themen. So zum Vorstoß von Markus Söder wegen einer Impflicht für Fußballer.
Antwort: Ich habe das Gefühl, dass der Fußball im Zusammenhang mit Corona immer dann in die Schlagzeilen kommt, wenn einige mit ihrem Latein am Ende sind. Ich denke, wir sind ein sehr gutes Ablenkungsmanöver für nicht immer sehr gute Arbeit.
Frage: Wie sehen Sie die WM in Katar?
Antwort: Gruselig. Aber ich finde vieles, was sich marketingtechnisch um den Fußball tut, gruselig. Wenn einer sagt, wir spielen alle zwei Jahre eine WM, wie entlasten wir jetzt die Spieler, dann habe ich eine Idee: Wir schaffen die Nations League ab. Die interessiert nämlich keinen toten Sheriff. Ich finde es auch nicht gut, die Vorrunde in der Champions League auf zehn Spiele zu ziehen. Wir hatten früher drei richtig geile Europacup-Wettbewerbe, da ging es von Anfang an immer in die K.o.-Runde. Das hat auch funktioniert. Uns wird immer erklärt, es ginge nicht ums Geld. Und ich bin auch in der Branche tätig und will nicht meinen eigenen Ast absägen, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber grundsätzlich entscheiden zu viele Leute über den Fußball, die keinen Kontakt zur Basis haben. Fußball wird für den kleinen Mann und die kleine Frau gemacht, für jedermann und nicht für die großen Firmen. Das sollten wir uns nicht wegnehmen lassen.
Frage: Am Samstag steht Ihr erstes Derby mit dem FC an. Wie groß ist die Anspannung?
Antwort: Noch bin ich entspannt. Die Aufregung kommt am Samstag, und da kann ich versprechen: Dann ist sie definitiv da. Dieses gesunde Lampenfieber habe ich aber vor jedem Spiel. Auch in der Vorbereitung. Wenn ich irgendwann mal gelangweilt in ein Spiel gehe, höre ich auf.
Frage: Nach dem letzten Heimspiel gegen Union Berlin haben Sie die Ungeduld der pfeifenden Fans kritisiert.
Antwort: Da wurde ein Ball ins Aus geschossen. Und plötzlich gab es Rufe von der Tribüne. Meine Erwartung ist, dass meine Jungs gepuscht und angefeuert werden. Die Leute dürfen mitleiden, aber sie dürfen niemanden beleidigen. Wir haben eine Kultur in den Stadien, bei der es oft nur noch darum geht, draufzuhauen. Dieses Problem gibt es aber nicht nur im Fußball. Anderthalb Jahre haben sich alle darauf gefreut, wieder ins Stadion zu dürfen. Nun darf man das wieder, und manche haben nichts Besseres zu tun, als ihren Frust loszuwerden. Ich bin ganz weit weg davon, das zu akzeptieren. Auch, wenn die Leute Geld bezahlen. Auch dann musst du die Kinderstube bewahren, auch dann geht es um Respekt. Pöbeln und Beleidigen geht einfach nicht. Und da braucht mir auch niemand zu erklären, er mache das aus den Emotionen heraus. Wenn jemand seine Emotionen nicht im Griff hat, soll er zu Hause bleiben und seinen Fernseher anbrüllen. Da hat sich ein bisschen was verändert bei mir.
Frage: Gab es dafür einen Auslöser?
Antwort: Ich höre immer: Die verdienen viel Geld, die müssen sich dies gefallen lassen und das gefallen lassen. Das gehört dazu. Aber ich sage: Wieso muss ich das? Ich bin Trainer, da habe ich eine Verantwortung. Aber niemand muss sich von der Tribüne oder auf Instagram beleidigen lassen. Es kann nicht sein, dass ein Familienvater mit seinem Kind an der Seite im Stadion rumpöbelt und dann sagt: Das ist Fußball. Nein, das ist nicht Fußball. Diese Kultur müssen wir verändern. Insofern hatten die letzten anderthalb Jahre zumindest etwas Gutes. Wir haben gesehen, was uns gefehlt hat. Danach ist es mir aber viel zu schnell wieder in die alten Muster gekippt.
Frage: Ist die Erwartungshaltung beim FC ein bisschen der Fluch der guten Tat nach den ersten Ergebnissen?
Antwort: Bei meinem Start im Sommer hat man uns gar nichts zugetraut. Jetzt traut man uns mehr zu. Vielleicht schon mehr als wir können. Das ist mir eigentlich lieber so. Man muss nur die Kirche im Dorf lassen.
Frage: Trotz dieser Auswüchse ist die Freude groß darüber, dass die Fans zurück sind. Inwiefern haben sie Angst oder Sorge vor erneuten Geisterspielen?
Antwort: Ich hoffe nicht, dass das passiert. Weil viele Menschen mit Hygienekonzepten und mit 2G alles dafür tun, wieder ein irgendwie normales Leben zu führen.
Frage: Ihr Torhüter Timo Horn fehlt am Samstag verletzt. Schon zuvor hatten sie gesagt, dass der Zweikampf mit Vertreter Marvin Schwäbe enger geworden ist. Kehrt Horn nach seiner Verletzung als Nummer eins zurück oder kann Schwäbe sich als Nummer eins positionieren?
Antwort: Marvin ist ein hervorragender Torhüter, der im Pokal komplett überzeugt hat, und mit Timo hatten wir bisher eine starke Nummer eins in der Liga, sodass es wirklich ein enger Konkurrenzkampf war. Timo wird für vier bis fünf Wochen ausfallen – diese Frage lässt sich jetzt nicht seriös beantworten.