Rudi Völler und Peter Bosz kennen sich dank des intensiven Gedankenaustauschs vor eineinhalb Jahren schon sehr gut, über die niederländische Fünf-Sekunden-Regel haben der Geschäftsführer Sport und der neue Cheftrainer des Bundesligisten Bayer Leverkusen aber noch nie gesprochen. Im niederländischen Fußball bedeutet die Regel: Innerhalb dieser Zeitspanne soll das Spielgerät nach einem Ballverlust wieder zurückerobert sein. Völler konnte mit dem Begriff bei Bosz‘ Vorstellung zwar nichts anfangen, hatte den vielen niederländischen Journalisten im Raum aber immerhin eine launige Alternative anzubieten.
„Ich komme aus dem Rhein-Main-Gebiet. In der Ecke Frankfurt, Hanau und Offenbach heißt es, dass man in fünf Sekunden zwei Bier getrunken hat. Bei uns wird das also ein bisschen anders ausgelegt“, witzelte der 58-Jährige – und freute sich, ganz elegant die Kurve um seine Wissenslücke herum genommen zu haben. Und auch der Mann zu seiner Rechten gab sich alle Mühe, bei seiner Rückkehr nach Deutschland, 13 Monate nach der Entlassung bei Borussia Dortmund, einen lockeren Eindruck zu hinterlassen.
Wackliges Bayer-Ensemble
Inhaltlich blieb Bosz bei seinem ersten offiziellen Auftritt als Bayer-Coach vage und sehr allgemein. Er räumte ein, in dem halben Jahr beim BVB Fehler gemacht zu haben – welche, ließ er trotz mehrfacher Nachfrage jedoch offen. Sein bevorzugtes Spielsystem, das 4-3-3, das ihm bei der schwarz-gelben Borussia nach rasantem Start am Ende arge Probleme und einen Absturz auf Platz acht bereitet hatte, werde er auch in Leverkusen praktizieren. Aber natürlich könne man in einem 4-3-3 auch wunderbar variieren. Und ob er bei der Arbeit mit dem hochbegabten, aber arg wackligen Bayer-Ensemble zunächst eher auf Entwicklung oder Stabilisierung setze? „Im Fußball gibt es nicht eine Sache, auf die man schauen muss“, antwortete Bosz. „Da ist alles wichtig.“ Aha.
Fest steht, dass der Werksklub den 55-Jährigen aus Apeldoorn – als Nachfolger des freundlichen Teamplayers Heiko Herrlich – vornehmlich aus einem Grund geholt hat: Als Trainer von Ajax Amsterdam erwarb sich Bosz den Ruf, junge, sehr talentierte Spieler zu einem aggressiven, offensivfreudigen und erfolgreichen Team formen zu können. „Er ist da nicht ganz deckungsgleich, aber ähnlich wie Roger Schmidt“, erinnerte Völler an Herrlichs Vorvorgänger auf der Bayer-Bank. Und fügte hinzu: „Er passt zu Mannschaften, die einen gewissen Vorwärtsdrang haben. Auch wenn er das in Dortmund nicht so umsetzen konnte, wie er wollte.“
Bayers Sport-Boss begründete Bosz‘ Scheitern bei den Westfalen mit den ungünstigen Bedingungen – und erwähnte das Attentat auf die Dortmunder Mannschaft, die Trennung von Thomas Tuchel und die vielen verletzten Spieler. Die Zeit nach seiner Beurlaubung nutzte Bosz neben dem Besuch aller Familiengeburtstage („Alle haben sich gefreut, dass ich mal da war“) zur Kontaktpflege mit Kollegen und zur Fortbildung bei diversen Vereinen im Ausland. „Ich habe viel geguckt, vor allem Leverkusen“, berichtete der frühere Mittelfeldspieler – der vor seiner Unterschrift in Dortmund im Sommer 2017 auch von den Rheinländern intensiv umworben worden war.
Vorgabe für Bosz: Internationaler Wettbewerb
„Ganz ehrlich – ich habe nicht gewusst, dass ich hierher kommen würde“, beteuerte er nun. „Aber ich hatte vor eineinhalb Jahren ein sehr gutes Gespräch mit Leverkusen, deshalb war das eine sehr gute Option für mich.“ Die Vorgabe, Bayer – ob via Europa League, DFB-Pokal oder Liga – wieder ins internationale Geschäft zu führen, akzeptierte Peter Bosz („Vielleicht ist noch mehr drin“) ohne größere Bedenken.
Und dann lieferte er bei seiner Rückkehr in die Beletage des deutschen Fußballs doch noch ein klares, persönliches Bekenntnis. „Ich wollte zurück in die Bundesliga“, betonte der Mann aus der Provinz Gelderland. Denn: „Ich war noch nicht fertig. Die Zeit in Dortmund war viel zu kurz. Die Leute hier haben noch nicht den richtigen Trainer Peter Bosz gesehen.“
Autor: Andreas Morbach