Shinji Kagawa holt aus, schwingt das Bein durch – und die Kugel hoppelt halbhoch zurück in Richtung Pierre-Emerick Aubameyang. Nächster Pass zu Christian Pulisic, der scharf und flach genau in den Fuß zurückspielt. Die Episode aus dem Abschlusstraining von Borussia Dortmund vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions-League-Partie gegen Benfica Lissabon am Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) ist ein Beispiel von vielen dafür, dass der 18 Jahre alte Pulisic vielen vermeintlich etablierten Kräften in Dortmund längst den Rang abgelaufen hat.
Als etwa Marco Reus im Bundesligaspiel gegen Bayer Leverkusen schon in der ersten Halbzeit verletzt ausgewechselt wurde, kam nicht Kagawa. Auch nicht Nationalspieler André Schürrle. Es kam Pulisic. Und trug ein Tor sowie eine Vorlage zum 6:2-Sieg bei, überzeugte auch ansonsten mit Tempo, Technik und Tordrang.
Das sah schon ein bisschen aus wie bei Reus, der sich am Sonntag wegen eines Muskelfaserrisses für den Rest des Monats abmeldete. Für den BVB ein harter Schlag: Seit der Nationalspieler Ende November nach Schambeinbeschwerden zurückkehrte, traf er in 15 Spielen sechsmal und legte sieben Tore vor – alle 81 Minuten gelang ihm eine Torbeteiligung. „Dass Marco ein großer Verlust ist, steht außer Frage“, sagt Trainer Thomas Tuchel.
Tuchel rätselt noch am System
Dabei ist die Aufgabe gegen Portugals Meister und Tabellenführer Benfica ohnehin kompliziert: Der BVB muss ein 0:1 aus dem Hinspiel ausgleichen. Noch will sich Tuchel nicht in die Karten schauen lassen, wie er Reus ersetzt: „Weil ich mir noch nicht ganz sicher bin, in welcher Systematik wir spielen“, erklärt er. „Und davon hängt ab, welchen Spielertyp wir auf welcher Position haben wollen.“ Immerhin den Kandidatenkreis nennt er: Schürrle, Kagawa – oder Pulisic.
Die aktuelle Form spricht klar für Pulisic, die taktische Überlegung wohl auch: Die Gäste werden nach ihrem Sieg im Hinspiel extrem defensiv erwartet, da braucht es Spieler, die mit überraschenden Aktionen des Gegners Reihen aufhebeln können. Das kann der 1,73 Meter große US-Amerikaner am besten – der wuchtigere Schürrle etwa braucht mehr Platz, um seine Dynamik voll entfalten zu können.
Egal, wer es am Ende wird: Die Zuversicht ist groß in Dortmund, dass man erstmals seit 2014 ins Viertelfinale der Champions League einzieht. Dank Sokratis und Marc Bartra, die die Defensive zuletzt deutlich stabilisierten. Dank des 19 Jahre alten Ousmane Dembélé, noch so einem jungen Vertreter des Dortmunder Sturm-und-Drang-Fußballs. Dank Pierre-Emerick Aubameyang, der nach dem kläglich verschossenem Elfmeter im Hinspiel wieder zuverlässig knipst. Seit dem 0:1 in Lissabon hat der BVB in drei Spielen zwölf Tore erzielt und nur zwei kassiert.
Trotz der Niederlage mutig
Und auch aus dem Hinspiel schöpfen sie in Dortmund Mut, trotz der Niederlage. „Da haben wir bewiesen, dass wir in der Lage sind, eine Vielzahl von Torchancen auf unterschiedliche Weise herauszuspielen“, sagt Tuchel. Zurückhaltung soll es auch am Mittwoch nicht geben, obwohl ein Gegentreffer die Aufgabe verkomplizieren würde. „Es geht darum, Tore zu schießen und anzugreifen“, sagt Tuchel. Voraussichtlich mit Christian Pulisic.