Hinter ihnen lag eine anstrengende Nacht, vor allem aber der wohl größte Tag in der Karriere eines jeden von Klopps Musterschülern. Schließlich hatten diese es am Samstag tatsächlich vollbracht, sie hatten ihre herausragende Saison gekrönt: Der Deutsche Fußballmeister 2011 heißt Borussia Dortmund.
Explodiert war die Stimmung gut zwölf Stunden zuvor, am Nachmittag dieses denkwürdigen 30. April gegen kurz vor fünf. 2:0 führte die Dortmunder Borussia dank der Treffer von Lucas Barrios und Robert Lewandowski gegen den 1. FC Nürnberg, als das Stadion zu brodeln begann. Erst jubelten nur diejenigen, die per Handy oder Radio die Geschehnisse beim Spiel Köln gegen Leverkusen verfolgten, doch schon kurz darauf stand der gesamte Signal Iduna Park Kopf. „Tooor für Köln“, brüllte Stadion- sprecher Norbert Dickel in sein Mikrophon und sorgte für schwarz-gelbe Jubeltürme, die lauter und lauter wurden und schließlich in einem echten Orkan gipfelten, als Dickel um zehn nach fünf zu grölen begann: „Ja, ja, jaaaaa! 2:0 für Köln!“
Fortan gab es kein Halten mehr. Da mochte „Nobby“ Dickel noch so sehr bitten und flehen, die Fans enterten die Zäune, entzündeten Bengalische Feuer und konnten nur mit Mühe davon abgehalten werden, auf den Rasen zu stürmen, wo sich ebenfalls ganz große Gefühle abspielten: Kevin Großkreutz, dem Mitspieler Felipe Santana so eben die Hälfte seiner „Meistermatte“ abrasiert hatte, stimmte vor der Südtribüne Lied um Lied an und die Massen sangen nicht minder inbrünstig mit: „Wer ist Deutscher Meister? BVB Borussia!“
Robert Lewandowski und Sven Bender schnappten sich unterdessen Trainer Jürgen Klopp und übergossen diesen mit Bier, Leonardo Dede sprang über den Rasen wie ein kleiner Junge, Lucas Barrios und Neven Subotic kletterten auf die Latte des Tores vor der „Süd“, Jakub Blaszczykowski wälzte sich gemeinsam mit Yumpei Yamamori, dem Dolmetscher Shinji Kagawas, auf dem Rasen. Lediglich Mario Götze und Mats Hummels brauchten einige Zeit, ehe sie sich ins Gewühl stürzen konnten. Beide knieten sie auf dem Rasen, einige Meter von einander entfernt, aber beide den Tränen nahe. Was für ein Nachmittag! Was für Emotionen!
Mitten drin im großen Jubelknäuel waren auch die Architekten des Dortmunder Erfolges und Autoren dieses außergewöhnlichen Fußballmärchens: Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, die Retter und Sanierer des Vereins, sowie Manager Michael Zorc und Trainer Jürgen Klopp, die diese junge, hungrige, unwiderstehliche Mannschaft zusammengestellt und dann auf die Bundesliga losgelassen hatten.
Wirklich niemand hatte diese Elf vor der Saison auf dem Zettel, doch beflügelt vom Derbysieg auf Schalke am vierten Spieltag startete Klopps Rasselbande so richtig durch. Unaufhaltsam eilte der BVB von Sieg zu Sieg, der Titel war nur die logische Konsequenz. Das fand auch Trainer Jürgen Klopp, der zunächst zugab, „hundertmal mehr Erleichterung als Euphorie zu verspüren“, dann aber doch wahre Hymnen auf „seine Jungs“ dichtete: „Ich bin stolz auf diese Mannschaft. Was sie geleistet hat, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Kaum auszudenken, wenn sie nach dieser Saison nicht maximal belohnt worden wäre. Dieser Kindergarten ist durch die Liga genagelt als gebe es kein Morgen mehr. Es hätte alle Gesetzmäßigkeiten des Sports konterkariert, wenn Dortmund nicht Meister geworden wäre.“
Widersprechen wollte dem Coach niemand. Am allerwenigsten sein kongenialer Partner Michael Zorc, der schließlich das vielleicht größte Lob aussprach: „Dieser Titelgewinn“, sagte der Mann, der als Spieler der Borussia 1995 und 1996 Meister geworden war und 2002 als Manager, der 1989 den DFB-Pokal und 1997 die Champions League gewonnen hatte, „dieser Titelgewinn ist die größte Leistung in der Geschichte von Borussia Dortmund.“