Eine latente Angst vor großen Namen haben Sie gar nicht, oder?
Ich weiß gerade nicht, was Sie meinen. Es gibt sicher nicht viele Trainer, die Publikumsliebling Dede, der elf Jahre lang Top-Arbeit geleistet hat und über jeden Zweifel erhaben war, gegen das Eigengewächs Marcel Schmelzer getauscht hätten.
Ich habe nicht groß über Meriten nachgedacht, ich treffe Entscheidungen immer auf Grund von Tatsachen. Dede schätze ich über alles, das weiß er auch. Und ich weiß wiederum, wie schwer die Situation für ihn ist. Aber an Marcel ging in der vergangenen Saison wirklich gar nichts vorbei. Ich kann als Fußball-Trainer nicht Entscheidungen treffen, die auf Leistungen aus der Vergangenheit basieren. Ausschließlich das Hier und Jetzt ist mein Maßstab. Verfahren Sie in der kommenden Saison genauso, wenn Sie der Konkurrenzkampf zwischen Sebastian Kehl und Sven Bender vor eine ähnliche Wahl stellt?
Heute kann ich dazu keine Aussage treffen. Entscheidend ist, dass Sebastian in der Lage ist, die Vorbereitung komplett mitzumachen. Wir haben alle gesehen: Wenn er fit ist, ist er ein herausragender Bundesligaspieler. Aber: Wir werden in der kommenden Saison hoffentlich so viele Partien zu bewältigen haben, dass man im Mittelfeld reagieren muss. Und ich hoffe, wir können es dann auch. Wenn wir nur mit Sebastian als defensivem Sechser in die Saison gehen würden, müssten uns doch alle für verrückt erklären. Eben auch aufgrund der Erfahrungen, die wir mit seinen Verletzungen gemacht haben.
Sie haben nach dem Saisonende gesagt: „Unsere logische Platzierung war Platz 9“. Wann wird es logisch sein, Fünfter zu werden?
Das wird Zeit benötigen. Es klingt ja immer ein bisschen so, als würden wir damit kokettieren, dass wir nur den neunthöchsten Etat in Deutschland haben. Aber so ist das nicht. Ein Beispiel: In Berlin spielen wir unentschieden, die Hertha ist Letzter, wir stehen auf einem Europapokalplatz. Aber beim Blick auf die Namen – Ramos, Gekas, Piszczek, Kobiashvili, Friedrich – fragt man sich doch: Warum sollten wir heute hier zwingend gewinnen? Für uns ist es einfach nicht logisch, aus Qualitätsgründen Wolfsburg, Hamburg, Stuttgart oder Wolfsburg zu schlagen. Es geht nur über die Herangehensweise, unseren Plan. Im Spiel gegen den Ball – das behaupte ich – haben wir den besten. Definitiv! In den nächsten Jahren werden wir zudem auch weiterhin mehr Phantasie zeigen müssen als unsere Konkurrenten. Gerade bei Transfers. Wir müssen da gucken, wo die anderen noch nicht gucken. Wie viel Phantasie steckt in dem Japaner Shinji Kagawa?
Er ist der interessanteste junge Spieler Japans. Seine Mentalität ist herausragend, er hat direkt nach Bekanntwerden unseres Interesses an ihm angefangen, Deutsch zu lernen. Da war noch gar nicht abzusehen, dass wir ihn wirklich holen. Sie hätten ja auch Japanisch lernen können.
Ich esse nicht mal gerne Japanisch! Im Ernst: Kagawa ist ein Offensivallrounder, der außer der Zentrum-Spitze alles spielen kann. Dass er noch körperliche Defizite hat, steht außer Frage. Der Junge ist nicht gebaut wie John Rambo. Aber er ist spielintelligent, kommt immer zum Abschluss, und das bislang in einer Liga, in der grundsätzlich alle flink sind. Technisch ist Kagawa sogar beeindruckend – und er ist schnell. Das wird langfristig eine hochspannende Geschichte für uns. Wir müssen nur sehen, wie viel Zeit der Junge braucht. Die asiatische Mentalität plus das, was wir hier vorgeben – das verspricht eine Menge Spaß. Wie stark ist Torjäger Robert Lewandowski?
Ich habe ihn jetzt sechsmal live im Stadion gesehen – er war immer ballsicher, schnell, hat eine außerordentliche Abschlusstechnik und diese Torgier in sich. Wenn Robert den Ball auf die Flügel spielt, kann man immer zu 100 Prozent davon ausgehen, dass er selbst noch mal in die Nähe des Gehäuses kommt. Lewandowski war in der dritten Liga oben in der Torjägerliste, in der zweiten auch, jetzt ist er Torschützenkönig der Ekstraklasa geworden und musste immer sehr viel Defensivarbeit verrichten. Der Junge kann ganz vorne im Zentrum stürmen, die beiden offensiven Außenpositionen spielen oder in einem Zwei-Spitzen-System wirbeln.