Daher war die Überraschung groß, dass der von den Grünen initiierte Abend im Gelsenkirchener Stadt.Bau.Raum mit dem etwas sperrigen Titel "Zivilcourage im Fanblock - Herausforderung für Verein und Fan-Sozialarbeit" kurzweilig wurde.
Zunächst aber bedient der Veranstalter ein paar Klischees. Als Freigetränk für die nur 30 Gäste steht Bionade bereit. Die Brause für Gutmenschen, der inzwischen sogar weltweit erfolgreiche Gegenentwurf zum bösen Coca-Cola-Imperium aus dem idyllischen Ostheim in der bayerischen Rhön. Ja, ich oute mich hier als Solcher, der seit seinem 18. Lebensjahr grün wählt, sich biologisch, dynamisch ernährt und auch bei der Getränkewahl gerne zur (teureren, aber leckereren) Alternative greift. Die neue Sorte Quitte kenne ich noch nicht und wird geköpft. Weiter rechts vor der Bühne sitzen ein paar S04-Fans, die nach einem Bionade-Erstversuch aussehen und tapfer die aus natürlicher Fermentation entstandene Limo schlucken.
Moderator Jesco von Eichmann verspricht bei seiner Begrüßung um kurz nach 19 Uhr, dass es später zum Fußball noch Bier gibt. Dann ist ja gut. Denn Fußball ist in den ersten 90 Minuten nur theoretisch das Thema, nachher wird über Leinwand Barca gegen Chelsea gezeigt. Der nette Kollege vom Lokalfunk Radio Emscher Lippe vergisst bei der Vorstellung des vollen Plenums zwar glatt einen der prominentesten Teilnehmer, den direkt neben ihm sitzenden DFB-Sicherheitsbeauftragten Helmut Spahn, doch ansonsten geht fast alles gut.
Um nicht durcheinander zu kommen, haben die Talkgäste Namensschilder wie in der Schule vor sich. Dass Eichmann neben Göring sitzt, hat angesichts des Themas Rassismus und Diskriminierung im Fußball eine pikante Note, fällt aber nicht weiter auf.
Illustre Runde im Gelsenkirchener Stadt.Bau.Raum (von links nach rechts): Ewald Groth (Minister des Landtags NRW, Sprecher Sportpolitik, Die Grünen), Roland Sauskat (Leiter AWO-Fanprojekt Essen), Dr. Manfred Beck (Stadtrat Gelsenkirchen für Kultur, Bildung, Jugend und Sport), Olivier Kruschinski (Schalker Fan-Club Verband), Roland Zänger (Leiter Fanprojekt Bochum), Katrin Göring-Eckardt (Ministerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Die Grünen), Patrick Arnold (verdeckt, Leiter Schalker Fanprojekt), Dr. Susanne Franke (1. Vorsitzende Schalker Fan-Initaive) und Helmut Spahn (Sicherheitsbeauftragter des Deutschen Fußball Bundes).
Zur Einstimmung auf die Diskussion werden zwei Kurfilme gezeigt. In "Fußball ist bunt" bezieht S04-Promi-Fan Peter Lohmeyer Stellung gegen Nazis im Stadion. Das Motto des Kult-Schauspielers lautet: "Fußball ist nicht schwarz und nicht weiß und schon gar nicht braun. Fußball ist bunt." Der zweite Streifen ist ein Mitschnitt des inzwischen aufgelösten Projekts "Dem Ball is' egal, wer ihn tritt" von der antirassistischen Fußball-WM in Montevecchio/Italien.
Anschließend erhebt Frank Baranowski das Wort. Gelsenkirchens Oberbürgermeister vergisst natürlich nicht, die vielen Vorzüge der von ihm geführten (Fußball-) Stadt zu preisen und ein kleiner Seitenhieb auf die Vergabe des Nationalen Fußballmuseums des DFB nach Dortmund darf nicht fehlen.
Katrin Göring-Eckardt - wie es sich bei einer Grünen gehört schön mit Doppelnamen - eröffnet schmeichelnd die Debatte. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages käme zwar aus dem Osten, inzwischen sei sie aber längst S04-Mitglied. Die Ministerin ist seit Jahren von der Fanarbeit des FC Schalke und seiner Fanorganisationen beeindruckt. Das geht Sozialarbeiter Patrick Arnold vom Schalker Fanprojekt, Dr. Susanne Franke von der Schalker Fan-Initiative und Oliver Kruschinski, der den im Krankenhaus weilenden Vorsitzenden des Schalker Fan-Club Verbands Rolf Rojekt vertritt, natürlich runter wie Öl.
Für erstes Stirnrunzeln sorgt aber ausgerechnet der beliebte Schalker Schmähgesang "Schwuler BVB" in Richtung des ewigen Revierrivalen Dortmund. Kruschinski hält das Beispiel für unglücklich, um Zivilcourage im Fanblock zu dokumentieren. Der Schlachtruf drücke keine per se homophobe Grundhaltung der S04-Fans aus und darüber hinaus seien Beleidigungen mit rassistischer Motivation eher dazu geeignet, um einen Selbstreinigungsprozess in der Kurve einzufordern. Hier sei gerade auf Schalke seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten sozialer Fanarbeit viel getan und erreicht worden. Schließlich ist Schalke der erste und bisher einzige Verein in der Bundesliga, der Ewiggestrige mit rechtem Gedankengut per Vereinssatzung von der Mitgliedschaft ausschließt.
Um die Ächtung diskriminierender Äußerungen im Stadion aber nicht auf politische Motive zu begrenzen, sondern das Thema Homosexualität zu beleuchten, hofft Franke auf das erste offene Bekenntnis eines schwulen Fußballers. "So lange sich kein Spieler outet, wird sich in der Haltung der Fans nichts ändern", meint die Schalker Aktivistin der ersten Stunde.
Da statistisch jeder Zehnte in Deutschland homosexuell ist, müssten es in der vollbesetzten Veltins-Arena 6.000 und auf dem Platz zwei sein. Doch weder in der Kurve und schon gar nicht in der Kabine seien die Jungs Mann genug, um zu ihrer sexuellen Neigung zu stehen.
Nazis sind da anders und machen aus ihrer Gesinnung keinen Hehl. Die NRW-Fanprojekte haben gerade Flyer aufgelegt, die unter dem Motto "Weißt Du, was Du trägst" auf unter gewissen Fußballanhängern beliebten Marken und die Verwendung rassistischer Symbole hingewiesen wird. Vielleicht ist nicht jeder Schwachkopf, der das berüchtigte "U-Bahn-Lied" grölt, ein Fascho, der Andersdenkenden wirklich nach dem Leben trachtet.
Dennoch muss selbst in den Köpfen mit dem wenigsten Volumen das ankommen, wofür gerade die großen Schalker Fanorganisationen seit Jahren kämpfen. "Es gibt etablierte No-Gos im Stadion. Wenn ich jemanden das 'U-Bahn-Lied' singen höre, dann scheue ich mich nicht, diese Leute anzusprechen. Das war vor 15 Jahren noch anders, da hattest Du Angst, auf die Fresse zu kriegen", betont Stadtdezernent Beck. "Fußball ist ein Abbild der Gesellschaft. Wiese sollte im Stadion weniger Fremden- oder Schwulenfeindlichkeit sein?", argumentiert der Grünen-Landtagsabgeordnete Ewald Groth.
Während Ralf Zänger vom Bochumer Fanprojekt darauf verweist, dass es in der VfL-Fanszene kaum Probleme mit rechtem Volk gebe, bewegt sich Roland Sauskat vom AWO-Fanprojekt Essen in einem ganz anderen Umfeld. "Es gibt einen Spruch von gegnerischen Anhängern, der verdeutlicht die Essener Verhältnisse sehr gut. Der lautet: 'Kommt runter von Eurem Asi-Toaster, Ihr seid braun genug!", berichtete der in Gelsenkirchen-Horst geborene, aber seit 1965 zur Hafenstraße pilgernde Sozialarbeiter.
Um 20.23 Uhr flackert plötzlich die Leinwand auf und der Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer erscheint im Bild. Eine technische Panne oder nur ein zarter Hinweis darauf, dass jetzt genug geredet wurde? Pünktlich zum Anstoß des Champions-League-Knüllers zwischen Barcelona und Chelsea beendet von Eichmann die Diskussion. Zuvor hat sich Baranowski in eine für die Zuseher vorgesehene Teilnehmerliste eingetragen. Der SPD-Politiker wird also künftig per E-Mail mit Informationen von den Grünen versorgt.
Im Mai entscheidet der Bundestag über einen Antrag der Partei mit der Sonnenblume im Logo zur weiterreichenden Unterstützung sozialer Fanarbeit. Göring-Eckardt tourt derweil mit der Veranstaltungsreihe "Zivilcourage im Fanblock" weiter durch Deutschland und möchte einen jährlich stattfindenden Fankongress einrichten.
Gute Idee, vielleicht lädt sie dann einmal ein paar harte Jungs aus der Kurve ein, denn um die dreht sich das ganze Gerede der Politiker, Vereinsvertreter und Fanorganisationen schließlich.
Info: Spahn war bis 2003 selbst Polizeibeamter mit zahlreichen Fußballeinsätzen: „Wenn Die Grünen in Gelsenkirchen ein Büro eröffnen und hängen draußen einen Zettel mit dem Hinweis auf: ‘Soziale Beratungsstelle für Fußballfans‘, dann kommt kein Mensch.“
Sprüche: Roland Sauskat vom AWO-Fanprojekt Essen: „Wir wandern in den Ligen immer weiter runter und haben daher weniger Zuschauer. Da fallen 100 bis 150 Leute vom rechten Spektrum eben mehr auf als bei 60.000 auf Schalke“
Ralf Zänger vom Fanprojekt Bochum: „Was willst Du Sozialarbeiter schon wieder von uns? Früher haben wir denen was aufs Maul gehauen und jetzt sollen wir mit denen Fußball spielen?“