Das „Bierhoff-Beben“ hat Hansi Flick bis ins Mark erschüttert - und bei ihm starke Zweifel an seiner Zukunft als Bundestrainer aufgeworfen. Nach dem Verlust seines engsten DFB-Vertrauten und Freundes blickt Flick dem Frankfurter Krisengipfel zum WM-Desaster mit einer Mischung aus Trotz und Ärger entgegen. Er spricht von „Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässigkeit“ - Werte, für die Bierhoff aus seiner Sicht stand wie kein Zweiter. Und die er offenbar bei der Verbandsspitze um Präsident Bernd Neuendorf und Vize Hans-Joachim Watzke schmerzlich vermisst.
„Die letzten Tage waren nicht einfach“, klagte Flick in einer am Dienstag vom DFB veröffentlichten, äußerst kritischen Stellungnahme, die sich wie die nächste Abschiedserklärung liest. „Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer“, ergänzte er, „wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann“.
Die Heim-EM 2024, der Traum von einem Sommermärchen 2.0 sei ihr „gemeinsames Projekt“ gewesen, betonte der 57-Jährige. Seine Betroffenheit wird in jedem Satz überdeutlich. Bereitet da der nächste Verantwortliche seine Demission vor?
Unmittelbar nach dem Scheitern in Katar hatte Flick Gedanken an einen Abschied vor Vertragsende 2024 ausgeschlossen - wie Bierhoff. Der Verlust des „ersten Ansprechpartners“ ändert alles. Flick muss sich fragen, ob er die Mammutaufgabe EM unter einem neuen, starken Mann an der Spitze der Nationalmannschaft stemmen will. Schwer vorstellbar.
Zumal er sich in der Personalie Bierhoff überrumpelt fühlt. Der Geschäftsführer hatte ihn vor seinem für die Öffentlichkeit überraschenden Schritt am Montag zwar eingeweiht. Doch Bierhoff, das gilt als offenes Geheimnis, ging nicht vollkommen freiwillig - sondern auf mehr oder weniger sanften Druck von Neuendorf und Watzke hin.
Sein Verhältnis zu Bierhoff sei von „unschätzbar hohem Vertrauen“ geprägt gewesen, meinte Flick: „Dieses Vertrauen ist und bleibt im Fußball das höchste Gut.“ Genießt er es bei Neuendorf und Watzke, denen er am Mittwoch seine erste WM-Analyse vorlegen soll? Und: Vertraut er dem Entscheider-Duo?
Der Bundestrainer hat trotz des Scheiterns bei seinem ersten Turnier als Chef Fürsprecher, intern wie extern. „Ich bin überzeugt, dass er die Nationalmannschaft in eine bessere Zukunft führen kann“, sagte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann meinte: „Hansi ist ein feiner Trainer und Mensch. Du kannst jetzt nicht alles über den Haufen werfen!“
Doch Neuendorf und Watzke haben in der Personalie Bierhoff bewiesen, dass sie vor harten Entscheidungen nicht zurückschrecken. Der Präsident gilt beim Entschluss zur Trennung als Treiber und ist bemüht, sich als starker Boss zu positionieren. Das Schlagwort von der „Zeitenwende“ macht die Runde.
Weil Watzke mit im Boot sitzt, gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, dass der BVB-Boss bei seinem alten Kumpel Jürgen Klopp durchklingelt. Die öffentliche Absage von dessen Berater gilt angeblich nicht als letztes Wort.
Die zarte Euphorie um Flick nach der bleiernen Spätphase von Joachim Löw ist verpufft. In der Mannschaft hat der Spieler-Flüsterer Rückhalt, doch an der DFB-Spitze werden auch seine Fehler gesehen. Sein beleidigter Auftritt auf der Pressekonferenz vor dem Spanien-Spiel wird ihm als Schwäche ausgelegt. Ein Bundestrainer müsse mehr sein als Fußballlehrer und souveräner agieren.
Jetzt hat Flick auf Bierhoffs Abschied ähnlich pikiert reagiert. Sollte er mit Rücktritt drohen - man würde ihn nicht aufhalten.
Über die Bierhoff-Nachfolge wurde noch nicht beraten, zu hektisch verlief die Trennung, die per Videoschalte auf einer eiligst anberaumten Sondersitzung des Aufsichtsrates der DFB GmbH verabschiedet wurde. Doch Namen potenzieller Erben werden längst öffentlich diskutiert.
Der frühere DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, in Dortmund Watzke-Berater, schlug Matthäus vor. Dessen Hauspostille Bild ruft nach Sammer. Laut kicker könnte Fred Bobic (Hertha BSC) kommen. Philipp Lahm wäre die logische Wahl, ist aber als EM-Turnierdirektor gebunden. Ralf Rangnick hat gerade in Österreich angefangen, der verfügbare Thomas Tuchel sieht sich eher als Trainer.
Nicht wenige beim DFB sehnen sich nach einem „Elder Statesman“, der den „Apparat“ als unabhängiger Geist durchlüften könnte. Einer wie Karl-Heinz Rummenigge, der eine Rolle beim DFB aber mehrfach ausschloss.
Bierhoff, von Neuendorf als „innovativer Treiber“ gewürdigt, hinterlässt große Fußstapfen - so sieht er es. In seiner Erklärung verwies er auf sein „Erbe“ Akademie. „Ich bin überzeugt davon, dass sie einen maßgebenden Beitrag zur Entwicklung des deutschen Fußballs leisten wird.“ Die Voraussetzungen seien gegeben, um bei der EM „wieder erfolgreich sein“ zu können. Mit Flick?