Bundestrainer Joachim Löw muss das EM-Viertelfinale heute (20.45 Uhr/live in der ARD) gegen Portugal in Basel von der Tribüne aus verfolgen. Die Kontroll- und Disziplinarkommission des Europäischen Fußball-Verbandes (UEFA) hielt an der Sperre für ein Spiel fest und sorgte damit vor dem K.o.-Spiel für einen zusätzlichen Schock und reichlich Ärger im Kreis der deutschen Mannschaft.
Neben Löw, der ein Innenraumverbot erhielt und an der Außenlinie durch seinen Assistenten Hans-Dieter Flick vertreten wird, muss die DFB-Auswahl möglicherweise auch auf Mittelfeldspieler Torsten Frings (Rippenbruch) und auf Torjäger Lukas Podolski (Wadenverletzung) verzichten. Ein möglicher Einsatz der beiden soll sich erst kurz vor dem Spiel entscheiden. Auch deshalb sieht sich das "große Deutschland" gegen die Portugiesen um Superstar Cristiano Ronaldo nur als "kleiner Außenseiter".
Zunächst aber war das Urteil im Fall Löw am Tag vor dem Duell mit Portugal der große Aufreger. "Ich muss die UEFA-Entscheidung zur Kenntnis nehmen und möchte sie nicht kommentieren. Natürlich bin ich maßlos enttäuscht", sagte Löw nur. "Für den Fußball ist diese Entscheidung eine schwere Niederlage. Wir haben absolut kein Verständnis dafür. Er hat sich immer fair verhalten", kritisierte Teammanager Oliver Bierhoff. Auch DFB-Präsident Theo Zwanziger konnte "in vollen Umfang" verstehen, "dass sich unser Bundestrainer ungerecht behandelt fühlt".
Kein Verständnis für die Entscheidung hat auch Portugals Coach Luiz Felipe Scolari. "Wenn ich etwas bei der UEFA zu sagen hätte, würde ich alles versuchen, um diese Sperre aufzuheben. Ich will, dass Joachim Löw am Donnerstag auf der Bank sitzt und seine Spieler betreut", sagte der 59 Jahre alte Brasilianer am Mittwoch.
Löw muss nun im St. Jakob-Park von Basel auf der Tribüne Platz nehmen. Kontakt zur Trainerbank darf er nicht aufnehmen, darüber werden auch UEFA-Offizielle genau wachen. Der 48-Jährige war gegen Österreich in der 41. Minute auf die Tribüne verbannt worden. Dies zog eine automatische Sperre für ein Spiel nach sich, die die UEFA nach einer Sitzung am Mittwoch in Zürich bestätigte. Eine Berufung war nicht möglich. Laut UEFA-Begründung verhielten sich Löw und Österreichs Trainer Josef Hickersberger, der ebenfalls für ein Spiel gesperrt wurde, "sehr nervös" und schrien sich gegenseitig an. Auch den Vierten Offiziellen habe Löw angeschrien. Dies wurde als unkorrektes Verhalten gewertet.
Bierhoff glaubt nun aber, dass die UEFA-Sperre "unsere Mannschaft nur noch zusätzlich motiviert und wir die richtige Antwort auf dem Platz geben werden." Auch Zwanziger hofft auf "einen zusätzlichen Motivationsschub" für die Mannschaft: "Ich bin ganz sicher, dass sie ihren Trainer im EM-Halbfinale wieder auf der Bank haben will."
Entsprechend waren die DFB-Verantwortlichen ab Mittwochnachmittag bemüht, die Konzentration auf das Sportliche zu lenken. Erstmals bei diesem Turnier sieht sich der dreimalige Welt- und Europameister trotz der zuvor hoch gesteckten Ziele und trotz des 3:1 gegen Portugal bei der WM 2006 im Spiel um Platz drei als "kleiner Außenseiter", wie Philipp Lahm und Christoph Metzelder verdeutlichten.
Auch Bierhoff schob den Portugiesen die Favoritenrolle zu: "Die Ausgangsposition für uns hat sich geändert. In der Vorrunde waren wir bisher immer das große Deutschland, von dem ein Sieg erwartet wurde. Jetzt ist Portugal der Favorit." Für Bastian Schweinsteiger, der nach seiner Roten Karte gegen Kroatien erstmals bei dieser EM in der Startformation stehen wird und der laut Löw eine "Bringschuld" hat, ist Portugal sogar "die stärkste Mannschaft bei dieser Europameisterschaft und für mich der große Favorit". Die DFB-Auswahl fühlt sich in der Rolle des "Underdogs" aber offenbar sehr wohl. "In schwierigen Situationen haben sich deutsche Mannschaften immer gesteigert", betonte Bierhoff. Nach den erheblichen Problemen gegen Kroatien (1:2) und Österreich (1:0) glaubt auch Löw gegen die spielstarken Portugiesen, "dass wir uns leichter tun, weil Portugal nach vorne mehr macht."
Bei der deutschen Taktik soll das Hauptaugenmerk nicht nur Superstar Cristiano Ronaldo von Manchester United gelten. "Das Thema ist nicht nur Cristiano Ronaldo. Die Portugiesen haben viele Spieler mit enormer Schnelligkeit und Dribbelstärke. Wir müssen auch diese Spieler unter Kontrolle bringen", verdeutlichte der Bundestrainer und dachte dabei auch an Deco oder Joao Moutinho. "Wir müssen gut doppeln und schnell verschieben. Dies kann einer allein nicht schaffen."
Um die Aufstellung machte Löw wie immer ein Geheimnis. Vor dem Viertelfinale gab es aber auch noch zwei Fragezeichen. Frings zog sich gegen Österreich einen Rippenbruch zu. Der Bremer absolvierte zwar am Mittwochmittag in Tenero vor dem Abflug nach Basel mit Hilfe schmerzstillender Mittel das komplette Abschlusstraining, laut Bierhoff sind die Einsatzchancen aber "nicht ganz so groß". Man werde kein Risiko eingehen, "auch wenn Torsten für uns natürlich ein wichtiger Spieler ist", sagte Löw: "Wir werden aber bis zum Schluss alles versuchen."
Dies gelte auch für Podolski, der im Gegensatz zu Frings am Mittwoch aber nicht trainieren konnte. Die Wadenverletzung beim dreifachen EM-Torschützen habe sich aber "stark gebessert", erklärte Bierhoff: "Wir sind guter Dinge." Für Frings würde Thomas Hitzlsperger die zentrale Mittelfeldrolle neben Kapitän Michael Ballack einnehmen. Sollte Podolski ausfallen, erhält der zuletzt enttäuschende Mario Gomez eine erneute Bewährungschance von Beginn an.