Taumelten sie bei der EM bislang im Gleichschritt dem Abgrund entgegen, wird im letzten Vorrundenspiel heute (20.45 Uhr/live im ZDF) in Zürich mindestens einer der beiden Fußball-Giganten abstürzen. Sollte Gruppensieger Niederlande gegen Rumänien seine Schützenhilfe verweigern, müssten gar beide Titelfavoriten gedemütigt die vorzeitige Heimreise antreten.
"Ich erwarte ein heißes Spiel. Das wird eine Schlacht", sagte Frankreichs Superstar Franck Ribery. Der 25-Jährige vom deutschen Rekordmeister Bayern München versuchte, sein Team vor dem Showdown wachzurütteln: "Wir müssen im Kopf bereit sein für dieses Spiel und bis an unsere Grenzen gehen. Das ist unsere letzte Chance." Die Zeitung Le Parisien nahm Riberys Ball auf und forderte: "Rettet, was noch zu retten ist!" Ähnlich angespannt ist die Stimmung im Lager der "Squadra Azzurra", die bei einer Niederlage einen historischen Totalschaden erleiden würde. Noch nie in der EM-Geschichte musste ein amtierender Weltmeister bereits in der Vorrunde die Segel streichen. "Das Frankreich-Spiel ist für uns wie ein Finale. Wir müssen da rausgehen und das Spiel unseres Lebens machen", sagte Torhüter Gianluigi Buffon, der Italiens K.o. mit seinem gehaltenen Elfmeter beim 1:1 gegen Rumänien zunächst verhindert hatte.
Doch so sehr alle Beteiligten den Endspielcharakter betonen, ihr Schicksal haben beide Teams mit nur jeweils einem Punkt nicht mehr in den eigenen Händen. Ein Sieg des Überraschungsteams Rumänien (zwei Punkte) gegen die nicht in Bestbesetzung antretenden "Oranje"-Stars würde sowohl für Italien als auch für Frankreich das Aus bedeuten. Italiens Trainer Roberto Donadoni hofft auf die Motivationskünste von Bondscoach Marco van Basten, mit dem er jahrelang beim AC Mailand zusammengespielt hat: "Marco ist korrekt, ehrlich und kompetent. Für mich ist das Garantie genug." "Reizfigur" Donadoni, dem in Italien mangelnde Ausstrahlung und Durchsetzungskraft vorgeworfen wird, steht ebenso wie Frankreichs Trainer Raymond Domenech bei einem Vorrunden-K.o. vor der Ablösung. Bei der "Squadra Azzurra" gilt es als wahrscheinlich, dass dann WM-Architekt Marcello Lippi zurückkehrt. "Ob ich zurück zur Nationalmannschaft komme? Sag niemals nie", erklärte Lippi jüngst.
Auch Domenech spürt bereits kräftigen Gegenwind. So forderte Emmanuel Petit, Weltmeister von 1998, in Anspielung an die französische Revolution und die Guillotine: "Wir leben in Frankreich, da ist es normal, dass Köpfe rollen müssen." Als möglichen Nachfolger brachte er Didier Deschamps ins Gespräch.
Noch allerdings können beide Trainer ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Domenech musste allerdings am Montagabend seine Hoffnungen, Kapitän Patrick Vieira aufbieten zu können, begraben. Der Defensiv-Stratege hat seine Oberschenkelverletzung noch nicht überwunden und fällt aus. Bei Italien heißt der Hoffnungsträger Antonio Cassano, dem Donadoni wohl eine Chance von Beginn an gibt. "Heiliger Antonio, der das Wunder vollbringen soll", schrieb die Gazzetta dello Sport. Für Frankreichs Ribery bleibt jedoch sein Münchner Teamkollege Luca Toni trotz dessen bislang unglücklicher Auftritte der gefährlichste Spieler der Italiener: "Er ist einer, der immer richtig steht und auch gegen uns treffen kann."
Die zwei zentralen Figuren des WM-Finals vor zwei Jahren spielen dagegen keine Hauptrolle mehr. Während für Marco Materazzi nach seiner desolaten Leistung beim Auftakt-Debakel gegen die Niederlande (0:3) der Bankplatz reserviert ist, schwebt der nach seinem Kopfstoß gegen Materazzi zurückgetretene Zinedine Zidane wie ein Schatten über der "Equipe Tricolore". "Zidane fehlt uns. Er würde in so einem Moment den Ball nehmen und drei Tore machen", sagte ausgerechnet Ribery, der bei der EM beweisen wollte, dass es auch ohne "Zizou" geht.