Neulich ist Mats Hummels (27) ein Risiko eingegangen. Am trainingsfreien Dienstag zog es den deutschen Fußball-Nationalspieler in Évian-les-Bains ins Freibad - auf den 10-Meter-Turm. "Das habe ich vorher noch nie gemacht. Ich hatte Schiss ohne Ende und ich wäre auch nicht gesprungen, wenn die Treppe hinunter nicht noch furchteinflößender gewesen wäre", sagte der Innenverteidiger hinterher. Auf dem Feld hat er den Mut zum Risiko minimiert. Ein Gespräch.
Herr Hummels, haben Sie eigentlich noch gute Erinnerungen an den 4. Juli 2006? Damals verlor Deutschland das Halbfinale bei der Heim-WM gegen Italien in Dortmund. Mats Hummels: Das war eine echt heftige Niederlage damals. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich habe es mit einer Gruppe von Freunden aus einem Münchner Vorort in einem Biergarten gesehen. Das 0:2 habe ich schon gar nicht mehr mitbekommen, weil ich mich frustriert auf den Heimweg gemacht hatte. Das tat jedem Fan damals weh, auch weil die WM im eigenen Land bis dahin so wunderschön war.
Die Liste schmerzhafter Niederlagen Deutschlands gegen Italien ist lang. Sie haben als Profi auch schon eine erlebt, 2012 im Halbfinale bei der EM. Das ist jetzt fast auf den Tag genau vier Jahre her. Mario Balotelli hat das vor wenigen Tagen irgendwo gepostet...
Balotelli schoss damals beide italienischen Tore. Hat es Sie erschreckt, daran erinnert zu werden? Nein. Niederlagen und Fehler passieren, damit muss man sich abfinden. Aber natürlich denke ich nicht mit einem sonderlich positiven Gefühl daran zurück, auch weil ich damals erstaunt war, wie heftig diese Niederlage mir wegen einer zugelassenen Flanke angekreidet wurde.
Sie verloren damals einen Zweikampf an der Außenlinie gegen Antonio Cassano, was zum 0:1 führte. Das 0:2 wurde in der öffentlichen Wahrnehmung komplett außen vor gelassen. Damals habe ich gelernt, dass Berichterstattung nicht immer fair sein muss. Es hilft zu wissen, dass manche Medien in ihren Bewertungen immer übertreiben. Wichtig ist, dass man selber richtig einschätzt, was warum passiert ist. Man darf sich weder vom positiven Hype, von irgendwelchen Jubelschlagzeilen noch von den Negativgeschichten beeinflussen lassen.
Würden Sie zustimmen, dass der Nationalelf die beiden Treffer von damals so nicht mehr passieren würden? Der zweite Treffer fiel nach eigenem Eckball. Diese Art von Gegentreffern können immer passieren, leider. Nur weil man die Sache einmal falsch gemacht hat, heißt ja nicht automatisch, dass sie nicht noch einmal falsch laufen kann. Aber bezogen auf mich und diese spezielle Situation gegen Cassano mag das stimmen. Ich würde den Zweikampf von damals heute ganz anders bestreiten – weniger auf Ballgewinn ausgerichtet, sondern darauf, das Tor zu verteidigen. Früher musste bei mir jeder Zweikampf ein Ballgewinn sein. Das war schon extrem. Heute würde ich das anders machen. Deswegen hat so ein einzelner Zweikampf bezogen auf die Zukunft schon Einfluss, weil ich in dem Fall mein Verhalten überdacht habe. Das war mir eine Lehre. Trotzdem kann man nie ausschließen, dass das nochmal vorkommt.
Also haben Sie Ihre Spielweise als Konsequenz damals umgestellt? Bis zu diesem Gegentor hatte ich das Gefühl, richtig gut in diesem Spiel zu sein. Ich hatte vorne eine Chance, hatte hinten Balotelli den Ball abgelaufen. Da dachte ich in dieser Situation vor dem Tor: Ok, jetzt machst du alles, jetzt gewinnst du den Ball und leitest sofort den nächsten Angriff ein.
Übermut? Jedenfalls wurde es bestraft, und das gab auch Ausschlag für den Wandel in meinem Spiel.
Empfindet man als Verteidiger eigentlich automatisch Zuneigung für italienische Abwehrkunst? Ja, immer schon. Chiellini und Bonucci finde ich besonders gut. Die sind nah dran am Ideal, weil sie das beste Kombination mitbringen: knallharter Verteidiger und geiler Zocker. Als wir uns zusammen das Spiel Italien gegen Spanien angeschaut haben, haben wir geschmunzelt, weil man da vor jeder Ecke einen kleinen Ringkampf im Strafraum beobachten konnte. Das ist nicht negativ gemeint, das ist cool. Die Jungs verteidigen robust, sind aber eben auch herausragende Fußballer.
Sie haben mal gesagt, dass Sie lieber fünf Mal großartig spielen und dann dramatisch im Halbfinale ausscheiden, als sich mit 1:0-Siegen zum Titel zu würgen. Würden Sie das heute wieder sagen? Dabei ging es mir um den Gedanken, dass die Chance deutlich größer ist, zu gewinnen, wenn du richtig gut spielst, und du nicht auf Glück angewiesen bist. Aber auch da habe ich etwas gelernt. Denn am Ende muss man sagen: Wenn man einen Pokal in der Hand hält, ist das noch schöner.