Sie sind jetzt ein Fußballstar, der von der Gesellschaft geschützt wird. Ja, da haben Sie Recht. Aber das wünsche ich mir natürlich auch für meine Kinder und für alle Kinder, die in Deutschland leben und weniger geschützt werden als ich.
Auch bei den Anschlägen in Paris wurden Sie als deutscher Nationalspieler gemeinsam mit ihren Teamkollegen besonders geschützt. Sie haben kurz nach der Nacht vom 13. November gesagt, dass es das bislang schlimmste Erlebnis in Ihrem Leben gewesen ist. Wie haben Sie die Erlebnisse inzwischen verarbeitet? Ich glaube, ganz gut. Es ist ja auch inzwischen eine Zeitlang her. Ich habe Abstand gefunden, aber es bleibt dabei: Es war eine schlimme Nacht, vor allem für viele Menschen in Paris, eine Nacht, die niemand ähnlich wiedererleben will. Ich hoffe sehr, dass nichts passiert bei der EM. Und nicht nur dort.
Machen Sie sich Sorgen oder können Sie die wegschieben? Ganz wegschieben kann ich es sicherlich nicht.
Es fällt ein bisschen schwer, jetzt zum Fußball zu wechseln. Aber wenn wir gerade beim Thema Sorgen sind, dann müssen wir wohl auch über die Defensive sprechen. Wir wissen genau, an welchen Details wir noch arbeiten müssen. Die Defensivarbeit fängt vorne an, das war auch unsere große Stärke bei der WM, und so ist es auch bei den Bayern: Da arbeiten wir als ganze Mannschaft defensiv. Wenn das nicht der Fall ist, können hinten die besten Abwehrspieler stehen und sehen trotzdem schlecht aus.
Ist es ein Problem für Deutschland, wenn Mats Hummels die ersten Vorrundenspiele verpasst? Wichtig ist, dass wir den jungen Spielern vertrauen, die dann für Mats auflaufen würden. Und dann wären natürlich auch die Führungsspieler gefragt, die dann etwas mehr Verantwortung übernehmen müssen.
Einer, der Verantwortung übernehmen wollte, ist Marco Reus… Das stimmt. Sein Ausfall ist sehr bitter. Ich habe das auch erst heute Morgen vom Bundestrainer erfahren. Besonders für Marco tut es mir leid. Aber auch für uns als Mannschaft ist es ein großer Verlust. Seine Qualitäten können wir nicht so einfach ersetzen. Und trotzdem: Nun müssen eben einige junge Spieler ihre Chance suchen, zum Beispiel Leroy Sané.
Die Defensivarbeit fängt vorne an, das war auch unsere große Stärke bei der WM
Jerome Boateng
Wie hat sich Ihre Rolle innerhalb der Mannschaft verändert? Ich bin seit der WM 2010 immer mehr in eine Führungsrolle reingewachsen. Mit Per Mertesacker, Philipp Lahm und Miroslav Klose sind drei Leistungsträger nach der WM 2014 weggefallen – und ich bin einer derjenigen, der jetzt mehr Verantwortung übernehmen muss. Können Sie nach der EM in Frankreich überhaupt noch verhindern, Kapitän zu werden? Ach, das habe ich ja auch schon öfters gesagt. Natürlich ist das ein tolles Amt, eine Ehre, gerade für mich mit der Hautfarbe und dem Hintergrund. Aber ehrlich: Ich brauche diese Bestätigung durch die Binde auch nicht. Für mich ist es Ehre genug, wenn ich für Deutschland spiele. Das merke ich jedes Mal, wenn die Nationalhymne ertönt. Das ist ein besonderes Gefühl.
Nach dem Länderspiel gegen Ungarn haben Sie noch zwei Tage frei. Was machen Sie? Ich fahre nach Hause nach München, verbringe ein bisschen Zeit mit meiner Familie – und sage den Nachbarn einfach mal freundlich hallo…