Als angenehmer Nachbar präsentiert sich Nationalspieler Jérôme Boateng auf dem Sofa im Mannschaftshotel der Nationalmannschaft im schweizerischen Ort Ascona. Ein Gespräch über die Äußerungen von AfD-Politiker Alexander Gauland, Rassismus in Deutschland – und Fußball.
Herr Boateng, Alexander Gauland scheint einen wie Sie nicht als Nachbarn haben zu wollen. Wie haben Sie die öffentlichen Diskussionen um das Zitat des AfD-Vizes Gauland zu Ihrer Person erlebt? Das hat mich nicht so sehr belastet. Ich habe es zur Kenntnis genommen. Das war es eigentlich auch schon.
Es hat aber doch wahnsinnig viele Reaktionen gegeben, auch in den sozialen Netzwerken. Eine Welle der Solidarität mit Ihnen. Selbst Ihr ehemaliger Nachbar aus Hamburg, Frederik Braun vom Miniatur-Wunderland, hat sich gemeldet, Sie als klasse Nachbarn bezeichnet und Tausende Likes bekommen. Ja, das habe ich auch gehört. Aber sehen Sie: Ich bin jetzt hier bei der Nationalmannschaft und bereite mich mit Deutschland auf die EM vor. Das Thema ist für mich gegessen. Beim Spiel am Sonntag in Augsburg gab es viele positive Bekundungen in meine Richtung, das hat mich gefreut. Was Gauland angeht: Ich finde es natürlich traurig, dass man sich so etwas heutzutage überhaupt noch anhören muss.
Ich finde es traurig, dass man sich so etwas heutzutage noch anhören muss
Jerome Boateng
Haben Sie grundsätzlich das Gefühl, dass der alltägliche Rassismus weniger geworden ist in den vergangenen Jahren? Ich denke schon, aber er längst noch nicht weg, das zeigt nicht nur dieses aktuelle Beispiel. Es ist traurig, dass man da wieder etwas zurückgefallen ist. Ich hatte gehofft, das wäre überwunden. Ihr Bruder Kevin-Prince hat vor drei Jahren eine Rede vor den Vereinten Nationen gehalten und darauf hingewiesen, dass es der größte Fehler wäre, den Rassismus einfach zu ignorieren, wenn man ihn bekämpfen wolle. Ich will das Thema auch nicht ignorieren. Aber ich möchte auch nicht, dass solche Leute über mich Aufmerksamkeit und eine große Plattform bekommen. Und ich möchte ebenfalls nicht, dass ich im Vergleich zu meinen Mannschaftskollegen zu viel Aufmerksamkeit bekomme. Wir haben ja auch noch einige andere Spieler, die in anderen Ländern ihre Wurzeln haben. Ich sehe mich da nur stellvertretend angegriffen.
Würden Sie sich mit Herrn Gauland an einen Tisch setzen und das mit ihm diskutieren? Ich bin sehr offen in Deutschland aufgewachsen und habe auch die allermeisten Deutschen als sehr offen erlebt.
Glauben Sie, dass diese Debatte der AfD am Ende sogar nutzt? Man hat in den vergangenen Tagen gesehen, dass es sehr positiv in die andere Richtung gegangen ist. Viele Leute haben gesagt, dass dafür kein Platz sein darf in unserer Gesellschaft.
Sind Sie eigentlich ein politischer Mensch? Ganz sicher nicht. Wenn ich in vielen Diskussionen nicht die Details kenne, erlaube ich mir auch kein Urteil. Aber was dieses Thema angeht, kann ich schon sehr deutlich sagen, dass ich das in Deutschland nicht haben möchte.
Sogar die Bundeskanzlerin hat sich zu Wort gemeldet und die Aussagen von Gauland als „niederträchtig“ bezeichnet. Das hat mich gefreut. Vor allem, weil sie sich so klar und deutlich geäußert hat, was, glaube ich, auch wichtig ist. Nicht nur für mich, sondern auch für unser Land. Haben Sie als Kind, das in Berlin aufgewachsen ist, Rassismus erlebt? Den habe ich durchaus erlebt, aber das ist schon länger her.
Lesen Sie auf Seite 2, welche Chancen Boateng der deutschen Nationalmannschaft bei der EM zutraut.