Nachdem er 41 Schüsse abgewehrt hatte, musste Dennis Endras die größte Belastungsprobe gleich zweimal bestehen. Alle Teamkollegen stürzten sich auf den deutschen Nationaltorwart, um den historischen Einzug ins WM-Halbfinale zu feiern - und wurden noch einmal zurückgepfiffen. Eine Sekunde war beim denkwürdigen 1:0 gegen die Schweiz noch zu spielen, der Teppich für die Ehrungen wurde wieder eingerollt - ein letztes Bully, dann verschwand der Held des Abends erneut in der Jubeltraube.
"Wir haben riesig gefeiert, und plötzlich gab es noch mal Bully", sagte Endras: "Ich weiß auch nicht, was da los war. Aber so konnten wir zweimal feiern." Der Augsburger Torhüter, der die Eidgenossen mit grandiosen Reflexen, stoischer Ruhe und dem Glück des Tüchtigen zur Verzweiflung gebracht hatte, stand dabei zu Recht im Mittelpunkt. "Wir haben da hinten einen Torwart drin, der einfach Weltklasse ist", lobte Routinier Sven Felski den WM-Neuling, der sich bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land international in den Fokus gespielt hat. Nur fünf Gegentore in fünf Spielen, 135 Schüsse abgewehrt, mit einer Fangquote von 96,43 Prozent die Nummer eins bei der WM - der Allgäuer, der noch vor vier Jahren in der Oberliga auf dem Eis stand, ist in wenigen Tagen in die Elite der Puckfänger aufgestiegen.
Von Nervosität keine Spur, der 24-Jährige ist die Ruhe selbst. "Ich brauche keinen Psychologen", sagte er, als er auf mögliche mentale Unterstützung angesprochen wurde: "Ich bin verrückt genug."
Nicht nur Verteidiger Alexander Sulzer meinte nach der Glanzleistung gegen die Schweiz, dass jetzt auch die NHL auf Endras aufmerksam werden müsse. "In der momentanen Form sollten ihm alle 30 Klubs ein Angebot machen", sagte der Nordamerika-Legionär, der in dieser Saison erstmals für längere Zeit für die Nashville Predators aufs Eis durfte. An eine Zukunft in der stärksten Eishockey-Liga der Welt wollte Endras noch nicht denken. "Ich habe meinem Agenten gesagt: Davon will ich während der WM nichts hören", berichtete der Schlussmann des Vizemeisters Augsburger Panther, "aber natürlich ist die NHL ein Traum von mir."
Wie in einem Traum kommt sich der deutsche WM-Held ohnehin derzeit vor. "Ich kann das erst richtig genießen, wenn das Spektakel vorbei ist", sagte er und schwärmte: "Es ist eine Riesen-WM." Für den Senkrechtstarter im deutschen Team, der seine Karriere als 16-Jähriger in der Bayernliga begann, lief bei seiner ersten Weltmeisterschaft sofort alles optimal. Erst kurz vor WM-Beginn war er zur Mannschaft gestoßen, dann schickte ihn Bundestrainer Uwe Krupp aus einem "Bauchgefühl" heraus im Weltrekord-Eröffnungsspiel auf Schalke ins Tor.
Endras bedankte sich mit seiner ersten Weltklasseleistung und hielt den 2:1-Sieg gegen die USA fest. Es war das erste Kapitel einer unglaublichen Geschichte: Immer wenn der Augsburger zwischen den Pfosten stand, punktete die deutsche Mannschaft - im Vorrundenfinale gegen Dänemark (3:1) ebenso wie in der Zwischenrunde gegen Weißrussland (1:2 nach Verlängerung) und gegen die Slowakei (2:1). Im Viertelfinale schrieb er weiter an seiner Erfolgsstory und machte am Ende eines emotionalen und hitzigen Derbys den Unterschied aus. "Hier haben wir einen überragenden Torhüter", lobte DEB-Präsident Uwe Harnos und blickte auf die Olympischen Spiele vor drei Monaten zurück: "Das ist der Unterschied zu Vancouver."
Dass die deutsche Mannschaft bei der Heim-WM mehr Erfolg als in Kanada hat, liegt aber auch an der stark verbesserten Defensivleistung von Endras' Vorderleuten. "Sie machen es mir leicht, ich muss nur den ersten Schuss halten", sagte der Goalie, "den Rebound holen sie sich." Gegen die Schweiz waren es immerhin 41 erste Schüsse.