Obwohl ihm in der Halle am Berufskolleg eine waschechte Nationalspielerin die Daumen gedrückt hat, hat Oktay Cin das Endspiel der Bottroper Hallenstadtmeisterschaft mit dem VfR Ebel mit 4:3 (1:1) nach Neunmeterschießen gegen den alten und neuen Titelträger VfB Bottrop verloren. Schlechte Laune hatte er deswegen aber nicht. Seine Schwester Miray, die für die deutsche U16-Nationalmannschaft kickt und auch sein bei der TSG Sprockhövel in der Regionalliga spielender Bruder Alpay bauten Oktay schnell wieder auf. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Und Zusammenhalt wird bei den Cins großgeschrieben. Eine(r) für alle, alle für eine(n) lautet das Motto der Bottroper Fußballfamilie.
„So ist das. Aber wenn du in der Halle mit einem Mann mehr und eigener Führung im Rücken nicht gewinnst, dann hast du es letztlich auch nicht verdient“, sagt Oktay Cin. Und hakt das Negativerlebnis schnell ab. Abgehakt hat er mit seinen erst 20 Jahren auch den Traum vom höher klassigen Fußball. „Das ist durch. Ich kicke nur noch aus Spaß an der Freude und um mich etwas zu bewegen“, meint er. Vor vier Jahren ist das Talent auf dem Fußballplatz zusammengebrochen. Sein Herzmuskel war entzündet. Vier Operationen retteten ihm damals die Gesundheit. Aber mehr als die Bezirksliga sei für ihn nicht mehr drin. Oktay hat seine Situation so akzeptiert, wie sie ist. Nichts anderes hätte seine Familie von ihm, dem „Abi“, dem Erfahrenen, dem Vernünftigen der drei Cin-Geschwister erwartet. „Die anderen haben mich überholt“, lacht er.
Ich möchte mich unbedingt in Richtung Profifußball bewegen. Für dieses Ziel würde ich alles tun
Alpay Cin
Denn mit Miray und Alpay haben die Cins aber noch zwei weitere heiße Eisen im Feuer. Während Oktay inzwischen als Lager- und Logistikkaufmann arbeitet, steht Miray und Alpay der Fußball-Himmel noch offen. Alpay gehörte in der vergangenen Saison zu den Leistungsträgern in der A-Jugend von Rot-Weiss Essen. Weil ihm der Regionalligist aber keinen Anschlussvertrag gab, heuerte er beim Ligakonkurrenten TSG Sprockhövel an. Dort avancierte er bereits im ersten halben Jahr zum Stammspieler und erzielte zwei Treffer. Keine schlechte Bilanz. „Ich möchte mich unbedingt in Richtung Profifußball bewegen. Für dieses Ziel würde ich alles tun“, hat Alpay deshalb mehr denn je der Ehrgeiz gepackt. Er will mehr. „Obwohl ich mich in Sprockhövel sehr wohl fühle und dem Verein sehr dankbar bin, dass er mir diese Chance gegeben hat, kann ich deshalb noch nicht genau sagen, wie es mit mir im nächsten Sommer weiter geht.“
Die größte Karriere der drei Cins hat aber vielleicht Schwester Miray vor Augen. Dass sich jetzt ausgerechnet das Nesthäkchen auf der Überholspur befindet, nehmen die beiden mit dem typischen Humor großer Brüder. Schließlich hat sie die beiden im eigenen Garten oder auf den Bolzplätzen in der Nachbarschaft oft genug „genervt“. „Wir haben früher oft zu Hause nach der Schule auf dem Rasen mit Holzstöckchen Tore gebaut und Miray wollte unbedingt immer mit dabei sein“, nicken beide. So lernte sie schon früh, sich auch gegen körperlich stärkere Gegner durchzusetzen. Eine Eigenschaft, die ihr jetzt im Nationaldress als Staubsaugerin vor der Abwehr zu Gute kommt.
„Sie hat eine unfassbare Technik. Mit etwas Glück und Gesundheit kann sie es weit bringen“, schnalzt Alpay die Zunge. Die ganze Clique sei stolz auf sie. Und die Familie sowieso. Sie hat bereits in der U15 für den DFB gespielt. Zwei Länderspiele hat sie bislang für die U16 absolviert, in einem lenkte sie ihre Mannschaft sogar als Spielführerin. Von Nationaltrainerin Ulrike Ballweg wurde sie auch zum Heimspiel-Lehrgang vom 23.-25.01.17 in der Sportschule Wedau berufen. „Die Nationalmannschaft und die Bundesliga der Frauen sind natürlich absolute Traumziele“, meint Miray Cin. Aber sie ist vorsichtig. Schließlich hat sie miterlebt, was mit ihrem Bruder passiert ist. Die B-Juniorenspielerin der SG Essen-Schönebeck will sich deshalb nicht alleine auf den Fußball verlassen. Ab dem kommenden Schuljahr wird sie auf der Gesamtschule das Vollabitur angehen. Sicher ist sicher. Was auffällt: Immer wieder fällt bei den beiden Brüdern das Wort Stolz. Es sei dagegen für sie nie ein Thema gewesen, ob ihre Schwester kicken solle, oder nicht. „Meine Eltern stammen aus Zonguldak. Aber sie haben nie danach unterschieden, ob wir Fußball spielen, oder meine Schwester“, winkt Oktay ab. „Das spielt für sie überhaupt keine Rolle. Und genau so sehen wir das auch.“
Papa Mehmet hat eher das Problem, dass er sich manchmal teilen muss, um seine Kinder spielen zu sehen. Der Maurer hat seine beiden Jungs sechs Jahre lang beim inzwischen in den Welheimer Löwen aufgegangenen RW Westfalia Bottrop ehrenamtlich trainiert, aber selbst nie Fußball gespielt. Er ist natürlich großer Fan. Nur Mama Meliha hält sich aus allem raus. Sie interessiert sich nicht für Fußball. Sie bleibt deshalb zu Hause, wenn ihr Mann über die Plätze tingelt.
„Für sie ist wichtig, dass wir gute Menschen werden, die andere respektieren und achten“, antworten die drei Cins. Ob es mal irgendwann eine Option wäre, für die Türkei aufzulaufen, diese Klippe umschifft Miray geschickt. Warum sollte sie sich auch jetzt schon festlegen. „Ich lebe doch hier. Außerdem würde das schon rein schultechnisch gar nicht gehen“, schüttelt Miray den Kopf. Und fügt an: „Ich möchte mich in Deutschland durchsetzen.“ Dafür will sie hart trainieren. Und zur Not können Oktay und Alpay ja nochmal im Garten die Holzstöckchen in die Wiese rammen.