Der Sport bestimmt den Tagesablauf der deutsch-ghanaischen Familie. Fußball und Leichtathletik sind zu den Essenszeiten die großen Themen. Momentan laufen Leroy Kwadwo, dem 19-jährigen Talent von Rot-Weiss Essen, seine beiden Schwestern den Rang ab. Ach was, sie zeigen ihm sogar die Hacken. Geschwindigkeit liegt einfach in der Familie. Schwester Keshia hat vergangenen Freitag bei den ersten U18-Europameisterschaften der Leichtathleten in Tiflis in 11,76 Sekunden Gold über 100 Meter gewonnen. Dann reiste die Sprinterin des TV Wattenscheid (Bestzeit: 11,48 Sekunden) weiter ins polnische Bydgoszcz, um bei der U 20-Weltmeisterschaft in der 4x100-Meter-Staffel Bronze folgen zu lassen. Was für ein Wochenende für die 17-Jährige.
Doch damit nicht genug: Schwester Yasmin (25), die inzwischen in Mannheim fürs Lehramt studiert, ist schon einen Schritt weiter. Mit dem DLV-Kader macht sie sich in diesen Tagen auf den Weg nach Rio, wo sie auf einen Einsatz bei den Olympischen Spielen in der 4x100-Meter Staffel hofft. Nach Rückenproblemen im Jahr 2012 ist es für die Schnellste der Familie Kwadwo (Bestzeit: 11,29 Sekunden) natürlich die vorläufige Krönung ihrer bisherigen Sprinter-Karriere.
Da muss sich Bruder Leroy schon sputen, um aus dem Schatten seiner Familienmitglieder zu treten. Aber Unterstützung erhält er natürlich von Vater Osam (Fußballspitzname: „Ossi“), für den das runde Leder schon ein bisschen den Vorzug erhält. Das Familien-Oberhaupt war selbst einmal Kicker, galt als „schnellster Spieler der Oberliga Westfalen“, damals in den Achtzigern noch die dritthöchste deutsche Spielklasse. Beim VfL Reken war es, als sich einige ambitionierte Landwirte einen Drittligisten gönnten. 1980 war der Ghanaer nach Deutschland gekommen, eigentlich, um zu studieren. Schnell stand der Sport im Vordergrund. „Das war eine tolle Zeit damals, da habe ich zum ersten Mal ein ganzes Spanferkel am Spieß gesehen, solche Feiern kannte ich nicht“, erinnert sich der 63-Jährige noch heute gern. Später wechselte er weiter zu Viktoria Heiden, wo ein Schalke-Idol Aki Lütkebohmert Trainer war.
Lange her, inzwischen widmet Vater Osam sein ganzes fußballerisches Interesse dem Filius und merkt, wie ihm das Herz aufgeht, wenn er den 19-jährigen beim Testspiel in Kray im RWE-Trikot auflaufen sieht. “Ein toller Verein, mit dieser Riesen-Tradition, hier ist Leroy gut aufgehoben, da haben wir alles richtig gemacht“, freut sich der Vater, wenn er an die Vertragsverhandlungen im Februar diesen Jahres denkt, als Trainer Jan Siewert und Sportdirektor Andreas Winkler nicht locker ließen und das Jugend-Eigengewächs, dass sich gerade erste Sporen beim Oberligisten Sprockhövel verdiente, unbedingt an die Hafenstraße zurückholen wollten. Natürlich waren schon andere auf das von Ex-Profi Pierre Esser gemanagte Talent, das es in der Oberliga-Saison in 27 Einsätzen auf zwei Tore und sechs Assists brachte, aufmerksam geworden. Sogar eine lose Anfrage von RB Leipzig lag vor. Aber das Machtwort des Vaters lotste ihn zurück nach Essen: „Hier soll Leroy den nächsten Schritt machen.“
In der Vorbereitung machte der wuchtige Verteidiger mit seiner Grundtechnik und seiner Schnelligkeit auf sich aufmerksam. Samstag gegen Aue hoffte er als Ersatzspieler vergeblich auf Einsatzminuten. Doch das Zwischenzeugnis des Vereins ist positiv: „Leroy ist sehr wissbegierig, sehr aufmerksam, jetzt muss er sich noch an die Regionalliga gewöhnen. An ein, zwei Dingen muss er noch arbeiten“, so Sportdirektor Jürgen Lucas. Und an gewisse Laufwege. Mit für ihn ungewöhnlich wilder Gestik zeigte ihm der sonst so gelassene RWE-Coach Sven Demandt in einer Trinkpause beim Kray-Spiel auf, wie er sich das vorstelle. „Als Kind war ich schon im alten Georg-Melches-Stadion als Balljunge dabei, diese tolle Atmosphäre will ich unbedingt auch als Spieler erleben“, meint er. Bislang ist er auf einem guten Weg. Ansonsten werden ihm die Schwestern Beine machen.