Für den Abwehrmann geht mit der Rückkehr an die Essener Hafenstraße ein Traum in Erfüllung. Vor dem besonderen Spiel zwischen RWE und seiner SG Wattenscheid (Dienstag, 20.15 Uhr) sprach RevierSport mit dem 30-Jährigen über alte Zeiten und aktuelle Herausforderungen.
Alexander Thamm, wie sehr steht Wattenscheid 09 am Dienstagabend im Stadion Essen unter Druck? Wir sind uns dessen bewusst, dass wir von sieben Spielen keines gewonnen haben und auch an der Lohrheide am Ende die Punkte zählen. Aber Fakt ist auch, dass wir in keinem Spiel chancenlos waren. Dass wir jetzt zweimal nach einer 2:0-Führung nur 2:2 gespielt haben, ist auch nicht wegzudiskutieren. Das haben wir am Sonntag beim Training angesprochen und verarbeitet. Ein Spiel wie es jetzt ansteht, steht aber unter anderen Vorzeichen.
Inwiefern? Es ist ein Flutlicht-Spiel, das auch noch im Fernsehen übertragen wird. Zudem geht es gegen Rot-Weiss Essen, sowas wie den Liga-Primus, zumindest wenn man mal allein die Zuschauerzahlen betrachtet. Da ist alles egal, was bisher in der Saison gewesen ist. Da braucht der Trainer wirklich nur elf Trikots in die Luft zu werfen - und wer am höchsten springt, der spielt von Anfang an. Alle Spieler im Kader sind gallig.
Die Partie wurde auch von offizieller Seite als "größtes Spiel seit Jahren" bezeichnet. Ist in der Mannschaft zu spüren, dass die Stimmung anders ist als vor weniger reizvollen Spielen - beispielsweise vor einer Partie gegen Köln II? Jein. Ich hatte vor der Saison ein bisschen die Befürchtung, dass nur darauf geguckt wird, wann wir in Aachen spielen und wann wir in Essen spielen. Oder auch das Derby gegen Bochums Amateure - die absoluten Highlights eben. Aber dadurch, dass wir erst vier Punkte haben, steht allein im Fokus, drei Zähler gegen Essen zu holen - oder zumindest einen. Die Begleiterscheinungen rücken eher in den Hintergrund - was ich gar nicht so verkehrt finde.
Trotzdem ist das Match in gewisser Sicht ein Meilenstein, oder? Für den Verein definitiv. Als ich in der Winterpause 2011/12 nach Wattenscheid gewechselt bin, spielten wir in der sechsten Liga. Wenn da einer gesagt hätte, "pass auf, in anderthalb Jahren spielt ihr an der Hafenstraße und die Partie wird bundesweit live im Fernsehen gezeigt!" - den hätten alle für bekloppt erklärt. Insofern ist das für den Verein großartig und etwas Besonderes. Ich denke vor allem an die Macher, die den Verein übernommen haben, als er ganz am Boden lag: Der Präsident Christoph Jacob, André Pawlak, Marco Ostermann und Aufsichtsrat Mano Oliveri - um die vier mal namentlich zu nennen. Die können darauf sehr stolz sein. Für uns als Mannschaft geht es aber darum, etwas Zählbares mitzunehmen - und nicht darum, ob man im Fernsehen gut ausgesehen hat oder mal vor 6.000 bis 9.000 Zuschauern spielen durfte.
Wie ist es bei Ihnen persönlich, immerhin kehren Sie an die alte Wirkungsstätte zurück. Lässt Sie das wirklich kalt? Nun, es war zwar eines meiner Ziele, nach dem Rauswurf bei RWE, irgendwann an die Hafenstraße zurückzukehren. Und zwar nicht als Co-Kommentator oder so, sondern als gegnerischer Spieler, im sportlichen Vergleich. In dem neuen Stadion wäre ich gerne noch im Trikot von Rot-Weiss aufgelaufen, diese Chance hat mir der Verein leider nicht gegeben. Mit dem Aufstieg mit Wattenscheid habe ich dieses Ziel erreicht. Jetzt geht es um die Punkte.
Aber Sie werden viele Bekannte wiedertreffen. Natürlich freue ich mich, den ein oder anderen Spieler wiederzusehen. Oder auch den Zeugwart, mit dem habe ich mir schon ein paar SMS hin und her geschrieben. Sicherlich wird es am Ende auch einen Trikottausch geben, aber das sind alles Nebensächlichkeiten. Nach unserem doch recht verkorksten Start geht es nicht um irgendetwas Persönliches, sondern nur um den Verein Wattenscheid 09.
Welche Spieler der Rot-Weissen kennen Sie noch? Da sind Vincent Wagner, Holger Lemke, Philipp Kunz und Benedikt Koep zu nennen. Außerdem kenne ich Benjamin Wingerter sehr gut, wir haben damals eine Fahrgemeinschaft gehabt, als wir in Lotte gespielt haben. Er hat mich vor seinem Wechsel zu RWE um Rat gefragt, und ich habe ihm gesagt, dass es im Regionalliga-Bereich eigentlich nichts Geileres gibt, als für Rot-Weiss zu spielen. Nachdem sein Wechsel feststand hat er mich sogar gefragt, ob es okay für mich wäre, wenn er meine alte Trikotnummer übernimmt, denn sie hatten ihm die "5" angeboten. Meine Antwort war, dass ich das erstens nicht zu entscheiden habe und zweitens, dass ich mich natürlich freue, wenn es ein guter Kumpel ist, der die Nummer übernimmt.
"Die Fans, die Tradition und der Doc - das macht für mich RWE aus"
Es scheint, als wollten Sie nur Gutes über Ihren Ex-Verein sagen - und dass, obwohl die Art Ihres Abschieds für Sie persönlich doch eine große Enttäuschung war, oder? Aber das macht ja nicht Rot-Weiss Essen aus. Rot-Weiss Essen, das sind in erster Linie die Fans. In zweiter Linie ist das die Tradition und in dritter Linie - und von ihm habe ich eine sehr hohe Meinung - ist das Michael Welling. Die Fans, die Tradition und der Doc - das macht für mich RWE aus. Und deshalb mag ich den Verein nach wie vor super gerne. Dass sich die damalige Sportliche Leitung entschieden hat, mir keinen neuen Vertrag anzubieten, ist eine andere Geschichte. Ich kann den Verein Rot-Weiss Essen von den damals handelnden Personen, die es ja heute immer noch sind, ganz gut trennen.
Also herrscht Eiszeit zwischen Alexander Thamm und Damian Jamro sowie Waldemar Wrobel? Ich werde den beiden am Dienstagabend nicht freudestrahlend in die Arme laufen. Aber der Anstand gebietet es, vernünftig und respektvoll "Hallo" zu sagen. Denn das, was wir damals erreicht haben - den Verein wieder wachzuküssen, das haben wir gemeinsam erreicht. Wir Spieler und die Verantwortlichen, die den Kader damals unter ganz schwierigen Bedingungen zusammengestellt haben.
Welchen Stellenwert hat diese Saison 2010/2011 in Essen für Sie? Das war ein überragendes Jahr. Eigentlich das geilste meiner bisherigen Fußballer-Laufbahn. Teil dieses Ganzen sein zu dürfen, war großartig. Klar ist, dass der Abschied bitter war und ich daran auch lange zu knacken hatte. Aber jetzt spielt das keine große Rolle mehr. Rachegelüste oder ähnliches habe ich nicht. Es geht nicht um Alex Thamm oder seine persönliche Genugtuung - und auch nicht darum, ob Waldemar Wrobel der richtige Trainer für Rot-Weiss Essen ist. Es geht um RWE und Wattenscheid 09. Sowohl Essen als auch wir hinken den eigenen Ansprüchen hinterher und brauchen Punkte - darum geht es.
Sie persönlich sind in Wattenscheid zuletzt nur noch zu Kurzeinsätzen gekommen. Dürfen Sie am Dienstag an alter Wirkungsstätte von Beginn an ran? Natürlich freue ich mich, wenn ich spielen darf. Aber ich glaube, dass es gar nicht darauf ankommt, wer spielt. Wichtig ist, dass die elf Leute und die drei, die noch von der Bank kommen, die Atmosphäre aufsaugen und genießen - aber nicht in Ehrfurcht erstarren. Wir hatten ein paar Highlight-Spiele wie in der Relegation gegen Bergisch Gladbach oder jetzt den Regionalliga-Auftakt gegen Uerdingen vor 3.500 Zuschauern. Diese Nummer ist vor allem für die jungen Spieler noch einmal eine andere Geschichte. Wir sollten keine Angst vor der eigenen Courage haben, sondern die Ärmel hochkrempeln.
Also: Wie geht es aus - und wer schießt die Tore? (Lacht) Tja, ich hoffe auf einen 1:0-Auswärtssieg, weil ich natürlich auch nicht will, dass mein alter Innenverteidiger-Kollege "Vince" Wagner viel zulässt. Wer das Tor für uns schießt, ist mir egal.