Und tatsächlich ist Dattenfeld für den Jungen im Kasten nicht mehr als eine Durchgangsstation. Denn Niclas Heimann, so heißt der Junge, schwebt in ganz anderen Sphären – und das ist wörtlich zu nehmen. Ab Juli 2007 steht der 16-Jährige bei Chelsea London unter Vertrag, seit Januar dieses Jahres pendelt er zwischen dem Nobel-Club und Nümbrecht, seinem Heimatort im Oberbergischen. „Ich möchte das Schuljahr in Deutschland beenden, damit ich in England nur noch eine Stufe bis zur Mittleren Reife vor mir habe“, erklärt der Youngster, während er sich den Schweiß von der Stirn wischt.

Zukünftig Chelsea-Torwart: Niclas Heimann.
Wenn er nicht seine Handschuhe anhätte, würde er sich wohl kneifen. Um sich zu vergewissern, dass der Traum vom Abramowitsch-Club wirklich wahr ist. Vor kurzem spielte er noch in Leverkusen die zweite Geige hinter U17-Nationaltorwart Fabian Giefer. Bis er eines Tages von Rainer Bonhof entdeckt wurde, der als Scout für Chelsea arbeitet. „Weil Giefer gesperrt war, habe ich gegen Bochum gespielt. Und ich war sehr gut“, blickt Heimann auf die Geburtsstunde seines persönlichen Märchens zurück.
Bis Ende Juni wird er sich bei der Germania fit halten, deren Sportdirektor Ingo Haselbach zugleich Heimanns Sportfachhändler des Vertrauens ist. Danach ist es mit den kurzen Wegen vorbei, stattdessen steht der endgültige Sprung in die englische Metropole an, wo Heimann in einer Gastfamilie leben wird. Der Multi-Kulti-Club verzichtet bewusst auf ein Jugendinternat, um Grüppchenbildung vorzubeugen.
So wird das Talent künftig in Cobham leben, zehn Minuten Fußweg vom Trainingsgelände entfernt. Laut der Analyse einer Großbank ist das Örtchen mit den akkurat geschnittenen Hecken der beste Platz zum Leben in ganz Großbritannien – sogar die Sonne scheint zwei Wochenstunden länger als im Rest des Landes. Und auch Heimann strahlt: „Es sind nette Leute, nur an das Essen mit den vielen Bohnen muss ich mich noch gewöhnen.“
Seine Sorge ist unbegründet: Chelsea verfügt über einen italienischen Sterne-Koch, den Großteil des Tages wird der Fan von René Adler ohnehin auf dem Club-Gelände verbringen. Die Abläufe sind komplett durchorganisiert: Um elf Uhr steht das erste Training an, um 13 Uhr gibt’s Mittagessen, gefolgt von der zweiten Einheit. Und zwischendurch immer wieder Englisch- Unterricht, damit Heimann ab 2008 sein letztes Schuljahr erfolgreich abschließt. „Ich werde meistens erst um 19 oder 20 Uhr zu Hause sein, dafür haben wir samstags und montags frei“, berichtet der frühere Leverkusener. Sein Zusatz: „Bei Bayer habe ich nur einmal täglich trainiert, nun werde ich doppelt so viel absolvieren. Das haben sich die Engländer zur Auflage gemacht. Ich finde es klasse. Es war immer mein Traum, auf die Insel zu wechseln.“
Dafür nimmt er auch in Kauf, künftig von Familie und Freunden getrennt zu sein. „Wenn das Heimweh zu groß wird, kann ich immer zurück. Mit 14 habe ich ein Angebot vom FC Barcelona abgelehnt, das wäre zu früh gewesen. Aber jetzt bin ich reif für den Schritt ins Ausland“, betont Heimann, der einen Vertrag bis 2010 unterschrieb.

In der Kantine mit John Terry. (Foto: firo)
So ganz allein muss er sich ohnehin nicht fühlen. Mit Nick Hamann hütet bereits ein Deutscher das Tor des Reserve-Teams. Und dann ist da auch noch ein gewisser Michael Ballack. „Man kommt mit jedem in Kontakt, wir treffen uns beim Mittagessen in der Kantine. Manchmal schauen sich die Stars auch unsere Einheiten an“, schwärmt Heimann.
Eine komplett neue Erfahrung für ihn: „In Leverkusen wurden die Profis komplett abgeschirmt, wir durften uns noch nicht mal in deren Kabine umziehen.“ Nun ist er den Stars so nah wie nie zuvor. Im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Valencia durfte er sie auf Augenhöhe erleben, die Drogbas, Lampards und Shevchenkos – als Balljunge an der Stamford Bridge. „Die Stimmung in den englischen Stadien ist mit nichts zu vergleichen. Die Bundesliga ist eine Beerdigung dagegen“, betont der Schlussmann.
Er sagt das mit der Gewissheit, an seinem Wunsch-Ziel angekommen zu sein. Dicht dran am Traum von der Karriere, weit weg von Dattenfeld.