Ausgerechnet ohne ihren Kapitän Michael Ballack soll der deutschen Nationalmannschaft endlich der spielerische Befreiungschlag gelingen. Acht Monate vor dem WM-Start fordert Jürgen Klinsmann im Härtetest beim WM-Dritten Türkei (20.00 Uhr MESZ/live im ZDF) wieder eine überzeugende Leistung. "Unser Ziel ist es, wenn möglich zu null zu spielen und dabei auch noch ein, zwei oder drei Tore zu schießen", verkündete der Bundestrainer einen Tag vor dem Match im voraussichtlich nur spärlich gefüllten Atatürk-Olympia-Stadion.
Dass Klinsmann nach den vergangenen Länderspiel-Auftritten in den Niederlanden (2:2), in der Slowakei (0:2) und selbst nach dem 4:2 gegen Südafrika heftig der Wind ins Gesicht blies, lässt den smarten Welt- und Europameister äußerlich kalt. "Die zuletzt aufkeimende Kritik tut unserem Optimismus und unserem Spaß keinen Abbruch. Wenn man sieht, wie sich die Spieler in den vergangenen 15 Monaten seit unserem Amtsantritt entwickelt haben, ist das alles sehr erfreulich, zumal gerade bei den jungen Spielern noch reichlich Luft nach oben ist", sagte der 41-Jährige.
Daum gibt für DFB-Team den Fremdenführer
Diese positive Einstellung vermittelte der Bundestrainer auch am Freitagvormittag auf einer 90-minütigen Bootsfahrt auf dem Bosporus, bei der "Beinahe-Bundestrainer" Christoph Daum den Fremdenführer mimte. "Er hat uns viel über die Kultur und die Lebensumstände der Türken vermittelt. Natürlich haben wir auch über Fußball gesprochen, aber nicht speziell über das Länderspiel. Dazu besteht kein Anlass, denn wir sind über die türkische Mannschaft bestens informiert", berichtete "Leichtmatrose" Klinsmann, der in dem Ausfall von Ballack eine große Chance sieht.
"Wir haben bislang zweimal, jeweils gegen Argentinien, ohne ihn gespielt. Und beide Male hat die Mannschaft den Ausfall ihres Leaders großartig kompensiert. Die Last muss wieder auf viele Schultern verteilt werden. Ich erhoffe mir eine Reaktion der Mannschaft, dass einige sagen, jetzt mache ich einen Schritt nach vorne." In der Pflicht steht dabei besonders Tim Borowski, der die Ballack-Rolle ausfüllen soll. Aber auch Torsten Frings, im Februar gegen Argentinien laut Klinsmann "überragend" oder Bernd Schneider sind gefordert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Ballack auch vier Tage später in Hamburg gegen China wegen der Nachwirkungen seiner Grippe nicht zur Verfügung stehen, so dass der Ernstfall ohne den Kapitän noch einmal geprüft werden kann.
Ähnlich gefordert ist auch die Abwehr-Viererkette, in der Patrick Owomoyela, Lukas Sinkiewicz, Per Mertesacker und Marcell Jansen spielen werden. Rückkehrer Christoph Metzelder soll erst gegen China getestet werden.
Klinsmann fordert "die Null"
Nachdem die DFB-Auswahl zuletzt während des "Confed Cups" gegen Tunesien (3:0) am 18. Juni ohne Gegentor geblieben war und in den folgenden sechs Partien jeweils mindestens zwei Gegentreffer - insgesamt 14 - kassierte, verlangt neben Klinsmann auch Oliver Kahn einen Abend ohne Gegentor: "Wir müssen mal wieder zu null spielen. Ich traue unseren Abwehrspielern zu, dass sie nichts anbrennen lassen. Und ich bin auch überzeugt davon, dass das so sein wird. Das wird vor allem der Abwehr unheimlich viel Selbstvertrauen geben", meinte der Bayern-Torwart, der in Istanbul anstelle von Ballack mal wieder die Kapitänsbinde tragen wird.
Trotz dieses klaren Anforderungsprofils an die Defensive will Klinsmann aber auch gegen den WM-Dritten endlich mal wieder Herz erfrischenden Fußball seiner Elf sehen, die zuletzt die neue Philosophie nicht im geforderten Maße umsetzen konnte. "Wir wollen unser Spiel zeigen, agieren, direkt spielen und dann möglichst auch Tore schießen." Diesen Auftrag sollen zunächst mal Kevin Kuranyi und der in den vergangenen Tagen angeschlagene Lukas Podolski, zuletzt gegen Südafrika dreifacher Torschütze, erfüllen. "Bei Lukas zwickt nichts mehr, wir haben ihn behutsam wieder aufgebaut, und er ist hundertprozentig wiederhergestellt. Seinem Einsatz dürfte nichts entgegenstehen", berichtete Klinsmann.
Nach dem Ausfall von Miroslav Klose (Grippe), der am Sonntag wieder zur Mannschaft stoßen soll, darf sich auch Oliver Neuville Chancen auf seinen 50. Länderspieleinsatz ausrechnen. "Ob von Beginn an oder später, müssen wir abwarten", sagte Klinsmann, der ohnehin erst am Samstagvormittag den Spielern die Aufstellung verraten will.