Franz Beckenbauer bleibt trotz der hitzigen Diskussion um den Nachfolger von Teamchef Rudi Völler gelassen: "Wir stehen nicht mehr so unter Zeitdruck", erklärte der Weltmeister-Coach von 1990. Im Gespräch redet der "Kaiser" außerdem über die DFB-Präsidiumssitzung am Montag und die EM in Portugal.
Frage: "Die Bundestrainer-Diskussion hält Deutschland nach der Absage von Ottmar Hitzfeld in Atem. Hatten Sie mit seiner Zusage gerechnet?"
Franz Beckenbauer: "Ich war genauso enttäuscht wie alle. Auch ich hatte den Eindruck, er machts."
Frage: "Wie geht es jetzt weiter?"
Beckenbauer: "Wir haben am Montag eine Präsidiumssitzung des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt. Vielleicht wissen wir danach mehr. Das Positive ist: Wir stehen nicht mehr so unter Zeitdruck, einen Nachfolge für Rudi Völler zu verpflichten, es eilt nicht so."
Frage: "Wie stellt sich aus Sicht des deutschen OK-Präsidenten zwei Jahre vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land die Zukunft der deutschen Nationalmannschaft dar?"
Beckenbauer: "Die Situation ist nicht so dramatisch wie noch bei der Europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlanden, als die Mannschaft nach dem Vorrunden-Aus mit Schimpf und Schande davongejagt wurde. Das ist diesmal eine andere Dimension, wir sind nicht in einer so prekären Situation wie damals."
Frage: "Wie sieht das Anforderungsprofil für den neuen Bundestrainer aus?"
Beckenbauer: "Wir sollten jemand für die nächsten zwei Jahre suchen. Die WM 2006 ist das wichtigste Ereignis, das über allem steht. Wir als OK wollen eine gute Weltmeisterschaft organisieren, aber wenn die sportliche Leistung der deutschen Mannschaft nicht stimmt, dann wird es schwierig. Mit der Leistung, die die deutsche Mannschaft in der Vorrunde geboten hat, hätte sie hier im weiteren Turnierverlauf auch nichts verloren gehabt. Ich glaube, wir im Organisationskomitee werden unsere Sorgenfalten in den nächsten zwei Jahren noch behalten."
Frage: "Es wird verstärkt der Name Otto Rehhagel, der Griechenland sensationell zur EM-Finalteilnahme geführt hat, als neuer Bundestrainer gehandelt, auch wenn er noch bis 2006 bei den Hellenen unter Vertrag steht."
Beckenbauer: "Ich möchte aber nicht vorgreifen, wir sollten abwarten, was am Montag in Frankfurt bei der Sitzung rauskommt. Es macht keinen Sinn, Spekulationen in den Raum zu stellen."
Frage: "Trotzdem war das Abschneiden Rehhagels mit seiner als krasser Außenseiter angetretenen Mannschaft die beste Empfehlung, oder?"
Beckenbauer: "Otto Rehhagel hat mit seiner Mannschaft eine sehr erfolgreiche Europameisterschaft gespielt. Er hat Großartiges mit seiner Mannschaft geleistet. Im ersten Spiel wurde überraschend der Gastgeber geschlagen. Gegen Frankreich im Viertelfinale und im Halbfinale gegen Tschechien haben die Griechen kaum Torchancen zugelassen. Und sind jeweils verdient weitergekommen, wenn auch mit ein wenig Glück. Aber Glück brauchst' im Leben."
Frage: "DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ist wegen seines eigenwilligen Führungsstils in die Kritik geraten. Es gibt eine starke Opposition im Deutschen Fußball-Bund, die Wiederwahl "MV"s" im Oktober auf dem DFB-Bundestag erscheint keineswegs mehr sicher. Wie stehen Sie dazu?"
Beckenbauer: "Das ist die Art von Gerhard Mayer-Vorfelder. Er hat schon vor 25 Jahren so seine Ministerien geführt. Entweder man akzeptiert wie er ist, oder man opponiert dagegen, das ist auch möglich."
Frage: "Am Sonntag steht das EM-Finale zwischen Gastgeber Portugal und dem Überraschungsteam Griechenland auf dem Programm. Was erwarten Sie von der Rehhagel-Mannschaft?"
Beckenbauer: "Gegen Tschechien im Halbfinale hat sich Griechenland total verausgaben müssen. Außerdem haben die Griechen einen Tag weniger Zeit zur Regeneration als die Portugiesen. Das kann entscheidend sein. Ein ausschlaggebender Moment wird sein, wie die Mannschaft konditionell beinander ist. Wenn die Kraft da ist, dann können sie Portugal wieder ärgern wie schon beim 2:1 im Eröffnungsspiel."
Frage: "Viele große Stars und Fußball-Nationen sind bei der Euro in Portugal vorzeitig gescheitert. Haben Sie eine Erklärung?"
Beckenbauer: "Es ist doch klar, dass die Leute bei 70 bis 80 Pflichtspielen müde werden. Man sollte sich zusammensetzen und versuchen, eine Lösung zu finden, damit die Spieler bei den wichtigsten Wettbewerben wie Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft in besserer Verfassung sind. Von müden Spielern kann man kein Glanzleistungen erwarten."
Frage: "Wie beurteilen Sie als WM-OK-Chef 2006 die Organisation der Portugiesen bei der Euro?"
Beckenbauer: "Sie haben Glück gehabt, dass Portugal im Wettbewerb geblieben ist. Nach dem verlorenen Auftaktspiel gegen Griechenland haben sie guten Fußball gespielt. Was nicht so gut funktioniert ist die Infrastruktur, weil Zufahrten nicht fertig geworden sind. Das sind aber politische Gründe, die dahinter stecken."
Frage: "Wie fällt Ihr sportliches Fazit der EM aus?"
Beckenbauer: "Es ist eine hervorragende Europameisterschaft. Es wurde von fast allen Mannschaft nach vorne gespielt. Alle Teams waren offensiv eingestellt, so kamen attraktive Spiele zustande."