Rot-Weiss Essen hat sich nach nur einem Jahr von Christian Titz (49) getrennt. [article=489286]Seit Freitag[/article] steht auch dessen Nachfolger fest: Christian Neidhart (51) wechselt nach sieben Jahren beim SV Meppen zum 1. Juli 2020 nach Essen und unterschreibt an der Hafenstraße einen Vertrag bis zum Sommer 2022.
RevierSport hat mit dem neuen Essener Cheftrainer über dessen Entscheidung pro RWE, die Unterschiede zum SVM und seine rot-weissen Pläne gesprochen.
Christian Neidhart, sieben Jahre waren bzw. sind Sie beim SV Meppen tätig. Warum haben Sie sich für Rot-Weiss Essen ab dem 1. Juli 2020 entschieden? Erst einmal haben wir mit dem SV Meppen noch fünf Spiele in der 3. Liga zu absolvieren. Am liebsten würden wir noch alle Partien gewinnen. Ich will mich hier vom SVM vernünftig verabschieden und am liebsten mit Erfolgserlebnissen. Warum Rot-Weiss Essen? Ich habe für mich immer gesagt, dass ich keine Karriereplanung habe. Manche werden es vielleicht als Abstieg ansehen, weil ich von der 3. in die 4. Liga gehe. Ich beurteile das aber nicht so.
Sondern? Für mich ist Rot-Weiss Essen ein Riesen-Verein, mit großem Potential, aber auch viel Druck. Das weiß ich auch. Aber was die Sache so reizvoll macht, ist, dass ich große Möglichkeiten sehe mit RWE aufzusteigen. Das Umfeld ist total intakt, das gilt auch für die Mannschaft. Der Punkteschnitt spricht eine deutliche Sprache. Man findet keine neue Mannschaft vor, da ist schon viel zusammengewachsen. Und wenn ich sage, dass Rot-Weiss Essen kein normaler Viertligist ist, dann sage ich auch nichts Neues. Für mich ist das keinesfalls ein Rückschritt, sondern ich sehe es als Weiterentwicklung in meiner Trainertätigkeit. Wenn sich meine Arbeit am Ende des Tages bei Rot-Weiss Essen positiv gestaltet, dann habe ich für mich selber einen Riesen-Mehrwert.
Sie hatten in der Vergangenheit auch Anfragen anderer Klubs vorliegen... Ich weiß wie der Trainermarkt gestrickt ist. Ich habe auch viele Mails und WhatsApp-Nachrichten erhalten, warum ich denn nicht nach oben wechsele oder zu dem oder dem Verein. Durch die Blume haben mir einige schon gesagt und geschrieben, dass ich schon wissen sollte, was mich in Essen erwartet.
Was glauben Sie denn: Was erwartet Sie in der Ruhr-Metropole Essen? Das weiß ich schon. Die Landschaft wird eine andere sein (lacht). Im Ernst: Ich weiß ganz genau, mit welcher Erwartungshaltung das Umfeld in die Saison geht. Man geht in die Spielzeit, um aufzusteigen. Das ist doch klar. Die Erwartungshaltung ist in Meppen eine andere. Aber die Vereine kann man auch nicht miteinander vergleichen. Die Möglichkeiten sind doch sehr unterschiedlich. Das muss man dann auch schon abwägen. In Essen ist alles eine Etage höher.
RWE geht in die zehnte Regionalliga-Saison. Die Fans lechzen nach dem Aufstieg. Ist es genau das, was RWE so reizvoll macht - den ersehnten Aufstieg zu schaffen? Ich habe jetzt vorher nicht nachgeschaut, wie viele Jahre Essen in der Regionalliga spielt und wie viele Trainer in dieser Zeit beschäftigt waren. Aber natürlich ist es reizvoll, das zu schaffen. Aber mein Hauptgedanke war folgender: Wenn man die Struktur des Vereins sieht und die der Mannschaft, dazu die Gespräche mit Jörn Nowak und Marcus Uhlig berücksichtigt, dann hatte und habe ich einfach ein extrem gutes Gefühl bei der Sache. In Essen ist für die neue Saison eine Mannschaft im Großteil schon beisammen. Das ist auch von Vorteil. Da kann man viele Dinge dabei belassen, die schon gut waren. Man muss nicht von vorne anfangen, nochmal alles umkrempeln.
Sie sprechen von einer intakten Mannschaft: Diese hatte offensichtlich keine Lust mehr auf Christian Titz. Glauben Sie, dass es für Sie zu Beginn recht einfach wird, weil Sie von den Spielern mit offenen Armen empfangen werden? Nein, das denke ich überhaupt nicht. Ich sehe das so, dass Christian Titz da einen super Job gemacht hat. Wenn man den Punkteschnitt von über zwei Zählern pro Partie sieht, dann muss man sagen, dass Essen eine gute Saison gespielt hat. Dass Verl und Rödinghausen so stabil sind, hatte vor der Serie wohl auch keiner gedacht. Ich mache mir da überhaupt keine Gedanken, was vorher war. Ich beurteile den Job von Christian Titz so, dass er sportlich eine guten Job gemacht hat. Alles andere, was da passiert ist oder passieren sein soll, möchte ich gar nicht beurteilen. Ich mache mir da meinen eigenen Überblick und werde dann mit meiner Art und Weise schauen, wie ich mit der Mannschaft klar komme. Das ist für mich wichtig - und nicht das, was war.
Mit Alexander Hahn steht auch ein ehemaliger Spieler von Ihnen im RWE-Kader... Ja, ich hatte "Ali" Hahn selbst in Meppen. Hedon Selishta ebenfalls. Er wird aber RWE bekanntlich verlassen. "Ali" Hahn hatte schon damals einen höheren Anspruch und war ein Leistungsträger. Dann ist er auch nach Saarbrücken gewechselt und später dann in Essen gelandet. Ich kenne ihn schon sehr gut. Dennis Grote und Hamdi Dahmani kennt man natürlich auch. Ich bin schon sehr gut über die Mannschaft informiert. Jetzt steht noch bis zum Saisonende der SV Meppen im Vordergrund und dann werde ich mich intensiv mit Rot-Weiss Essen beschäftigen.
Welche Rolle hat die Corona-Krise bei Ihrer Entscheidung gespielt? Wir wissen alle, dass sich nach Corona einiges verändern wird. Das betrifft auch viele Fußballklubs. Dann hat man aber auch Vereine wie Rot-Weiss Essen, die trotz Corona-Krise gut aufgestellt sind. Das ist in der Regionalliga eher die Seltenheit. Klar, die zweiten Mannschaften haben auch gute Rahmenbedingungen. Aber dann muss man schon gucken. Was passiert in Verl, wenn der Sportclub nicht aufsteigt? Was passiert in Oberhausen? Der Druck ist ja bei den anderen Klubs auch da. Es gibt aktuell nicht so viele Vereine wie Essen, die trotz Corona die Weichen so stellen können. Das sehe ich ja auch gerade in Meppen, dass hier alles nicht so einfach ist.
In Meppen waren Sie nicht nur Trainer, sondern eigentlich auch Sportchef. Sie haben die Gespräche mit Spielern, Beratern geführt, den Kader zusammengestellt. Werden Sie in Essen mehr Trainer denn je sein? Das hoffe ich doch. Ich weiß ja, welche Strukturen mich erwarten. Es ist ja so, wenn man in einem Verein viele Sachen macht, dann bleibt auch einiges auf der Strecke. Ich freue mich schon, dass ich mich bei RWE nur auf Fußball konzentrieren kann und nicht jeden Tag 20 Gespräche mit Beratern zu führe und mich um die komplette Kaderplanung kümmern muss. Wobei ein Trainer natürlich immer in die Kaderplanung involviert ist. Aber ich wusste, dass dieser in Essen zum größten Teil steht. Das ist aber für mich auch absolut kein Problem.
Wie gut kennen Sie eigentlich Rot-Weiss Essen? Man kann das ja als Trainer nur aus der Ferne beobachten. In der 3. Liga ist der Spielplan sehr eng getaktet, da kann man nicht einfach mal so durch die Gegend fahren und Spiele beobachten. Aber ich kenne natürlich die Atmosphäre an der Hafenstraße und weiß schon, was da abgeht (lacht). Als mein Sohn Nico, der heute in Rostock unter Vertrag steht, in Lotte gespielt hat, da war ich das letzte Mal im Stadion Essen vor Ort. Ansonsten habe ich in dieser Saison das Livespiel gegen Gladbachs U23 gesehen. Wir haben mit Meppen auch viel in der Regionalliga West und in der Nord-Staffel gescoutet. Aber das waren dann eher die U23-Mannschaften. Es ist aber auch nicht wichtig, wie gut man einen Verein kennt oder wie intensiv man den Klub beobachtet hat. Es ist eigentlich am Besten, wenn man unvoreingenommen an die Sache herangeht und alles kennenlernt sowie selbst erlebt.
Das Problem von der Heimschwäche kennen Sie aber doch, oder? 11.000 Fans kommen im Schnitt zu den Heimspielen, die Heim-Bilanz ist aber ernüchternd. Eigentlich schon seit Jahren... Alles, was in den letzten Jahren oder im letzten Jahr war, ob sich da Mannschaften nach Siegen über RWE lustig gemacht haben oder dergleichen, interessiert mich nicht. Wenn man das als Außenstehender betrachtet, dann weiß man, dass jeder Regionalligist, der nach Essen kommt hoch motiviert ist. Für manche ist es das Spiel ihres Lebens. Klar: Die RWE-Spieler müssen damit klarkommen, dass sie auf hoch motivierte Gegner treffen. Aber genau das muss man hinkriegen. Es darf nicht passieren, dass der Gegner motivierter ist. Ich werde daran mit der Mannschaft arbeiten, damit die Gegner sich in Zukunft über Siege in Essen nicht mehr freuen.
Das Ziel mit Rot-Weiss Essen kann doch nur Aufstieg in die 3. Liga lauten, oder? (lacht) Dass der RevierSport das hören will, ist doch klar. Aber Fakt ist doch: Dass nicht nur Rot-Weiss Essen, sondern sicherlich auch zwei, drei andere Vereine bis zum Ende um den Titel spielen wollen, ist aber auch klar. Das ist wichtig: Dass man immer oben dranbleibt oder im besten Fall vorangeht und gejagt wird. Das muss man dann sehen. Das ist aktuell alles zu früh, um über irgendwelche Zielsetzungen zu sprechen. Erstmal muss man ans Arbeiten kommen. Aber klar ist doch auch, dass Rot-Weiss Essen in der neuen Saison nicht Fünfter werden will. Der Verein will hoch und ich komme nach Essen, um RWE in die 3. Liga zu bringen.