Manchmal sieht sich Lars Ricken noch so, wie er in Übergröße auf einem mächtigen Betonpfeiler der Südtribüne abgebildet ist. Champions-League-Finale, 25 Meter vor dem Tor von Juventus Turin, der Kopf oben, Angelo Peruzzi zu weit draußen.
„So wie ich als Spieler Lust auf die Herausforderung hatte, so habe ich sie jetzt auch als Geschäftsführer“, sagt Ricken. Nur, dass er damals jung war, stürmisch, mutig - inzwischen tritt er bei Borussia Dortmund die Schwelbrände aus und bekommt davon heiße Füße. Nach blassen ersten Amtsmonaten schärft er sein Profil.
In der berüchtigten „Elefantenrunde“ der BVB-Entscheider hat der 48-Jährige derart aufgeräumt, dass sie nicht mehr benötigt wird. Er entließ Trainer Nuri Sahin, er warf den Kaderplaner Sven Mislintat raus - und Ober-Boss Hans-Joachim Watzke wird im Herbst ausscheiden, woran Ricken auch seinen Anteil hat: Das frühere Idol der „Süd“ wurde an Sebastian Kehl vorbei befördert und übernahm von Watzke die Sport-Geschäftsführung.
Die monatlichen Treffen der meinungsstarken Entscheider waren stets mit Watzke, lange auch mit Michael Zorc und Matthias Sammer besetzt. Dort wurde festgelegt, von dort wurde anschließend nach unten kommuniziert. Auch den Berater Sammer hat Ricken zuletzt eingefangen, indem er ihm nach einem allzu wüsten TV-Auftritt nahelegte, nicht mehr als Prime-Video-Experte für BVB-Spiele tätig zu sein. Diese kuriose Doppelrolle scheint aufgelöst zu sein.
Alles gut? Nein. Noch nicht. Einige Lehrgeld-Momente gab es schließlich auch: An seinem ehemaligen Mitspieler Sahin beispielsweise hat Ricken viel zu lange festgehalten. Er hat sich die Wende so sehr herbeigewünscht, dass er übersah, was andere klar vor Augen hatten: Dass sie nicht kommen würde.
Zweites Beispiel - den lähmenden Machtkampf zwischen Mislintat und Kehl hat Ricken zwar zerschlagen. Das war notwendig. Jedoch: Als Mislintat gehen musste, existierte die Möglichkeit, Kehl ebenfalls freizustellen, quasi gar nicht. Denn der Vertrag mit dem Sportdirektor war trotz interner Unzufriedenheit mit der Kaderzusammenstellung kurz zuvor verlängert worden. Ricken hatte dafür auf der Mitgliederversammlung geworben - mit einer Kehrtwende hätte er sich selbst beschädigt.
Andererseits hat er zwei „Elefanten“ aus dem Weg geschoben. „Es ist einfach so, dass Aki Watzke nicht mehr dabei ist, und aus der Elefantenrunde hat es mit Sven Mislintat und Nuri Sahin ja letztendlich auch zwei getroffen“, sagte er. „Getroffen“, auch bekannt als: von Ricken entlassen. Das sei „unbequem“ gewesen, versicherte er, und er führte einen ganz normalen täglichen Austausch mit Kehl und Trainer Niko Kovac ein.
Noch aber wacht der größte Elefantenbulle über der Herde. Intern hat Watzkes Wort auch in schlankerer Struktur weiter das größte Gewicht, aber er hält sich öffentlich auffällig zurück - und erleichtert es Ricken damit, seine Machtbasis zu festigen.
Wenn am Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim FC St. Pauli noch sportlich trittsichere Pfade erreicht werden und sich ein Hauch von Umschwung danach in eine Tendenz verfestigt, wäre Ricken wirklich führend. Doch die Kovac-Verpflichtung war aus der Not geboren: Sie könnte ihn schneller wieder einholen, als ihm lieb ist.