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400 Fälle in drei Monaten - "BVB hat große Chance verpasst"

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Meldestelle für Diskriminierung: "BVB hat große Chance verpasst"
Foto: privat
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Seit dem 1. Juli gibt es die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen.

Bei der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW können sich Menschen, denen Diskriminierung widerfahren ist oder, die diese mitbekommen haben, melden.

Das haben seit der Eröffnung im Jahr 2022 annähernd 400 Menschen getan. Eine Zahl, die nachdenklich macht und die zeigt, warum es die Idee gab, eine solche Meldestelle zu errichten. Warum es diese Meldestelle gibt und warum der BVB kürzlich aus seiner Sicht eine große Chance verpasst hat, ein Zeichen zu setzen, erklärt Dr. David Johannes Berchem im Gespräch mit RevierSport.

Herr Dr. Berchem, Abdoulaya Kamara von der U19 von Borussia Dortmund soll in der vergangenen Woche in der UEFA Youth League von einem Spieler des FC Sevilla erneut rassistisch beleidigt worden sein. Der zweite Vorfall binnen einer Woche. Die UEFA ermittelt. Von BVB-Nachwuchsdirektor Lars Ricken gab es dazu klare Worte. Wie bewerten Sie den Vorfall?

Klare Worte sind das eine. Handeln ist das andere. Nach ähnlichen Vorfällen im Hinspiel wollte Borussia Dortmund im Falle der Wiederholung eigentlich vom Platz gehen. Das ist aber nicht passiert. Im meinem Augen hat der BVB da eine große Gelegenheit verpasst.

Was wäre in Ihren Augen richtig gewesen?

Das Spiel zu beenden, wäre ein Zeichen von einem großen, global aufgestellten Klub gewesen. Denn es ist ein Problem, dass das Thema grundsätzlich nur Fahrt aufnimmt, wenn es sich bei einem sehr bekannten Fußballklub ereignet.

Wie meinen Sie das?

Diskriminierung findet im Amateurbereich genauso statt. Aber medial und in der Öffentlichkeit erfährt man darüber quasi nichts. Dabei geht es auch um das Empowerment von Amateurvereinen, in denen alles ehrenamtlich abläuft und die natürlich auch kein Fachwissen über Diskriminierung haben können. Wir wollen einen Strukturwandel herbeiführen, dass das Thema Rassismus permanent auf den Radar kommt und nicht nur, wenn es zwei Spiele im Jugendbereich des BVB mit rassistischen Äußerungen gegeben hat, so schlimm sie auch waren.

Sie arbeiten für die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW. Was ist das überhaupt?

Das Projekt „Meldestelle“ ist relativ jung. Wir haben uns im ersten Halbjahr des Jahres 2022 damit beschäftigt, die Internetseite an den Start zu bringen. Dort haben wir unter medif-nrw.de nicht nur das eigentliche Meldeformular, sondern betreiben auch Bildungsarbeit und erklären, wie Funktionäre, Spieler, Trainer und Betreuer, aber auch Fans erkennen können, welche Arten von Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus es gibt und wie mannigfaltig das Thema ist.

Mit welchen Vereinen beschäftigen Sie sich?

Wir beschäftigen uns mit allen Vereinen, die in NRW ansässig sind. Wir bilden dabei den Fußballkontext in ganzer Breite von der Kreisliga C bis zum Profibereich und dem Diskriminierungskatalysator „Social Media“ ab.

Was sind die ersten Erfahrungen?

Am 1. Juli sind wir mit der Meldeplattform an den Start gegangen. Seitdem haben wir bereits fast 400 Meldungen erhalten. Darauf sind wir auch angewiesen. Denn das Projekt lebt von der Interaktion mit der Fußball-Community. Man muss jetzt schon festhalten, dass Diskriminierung im Fußball alltäglich ist.

Wie läuft das Verfahren ab?

Ganz wichtig: Jede Meldung bleibt anonym. Die Meldung wird in eine Tabelle überführt. Und dann findet eine Auswertung statt, quantitativ und qualitativ. Im Frühjahr 2023 werden wir mit unserem ersten Sachbericht an die Politik, Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit gehen, damit diese sich ein Bild machen können. Aber viel wichtiger ist, dass wir den Mehrwert dieser analysierten Vorfälle in Workshops und Beratungen abbilden um Ansätze zu finden, Muster und Strukturen zu verändern.

Warum ist es so wichtig, dieses Problem jetzt anzugehen?

Es gibt Dynamiken in der Fußball-Fanszene, die eine Meldung aus falsch verstandenen Rücksicht oft verhindern. Denn, um nochmal beim BVB oder bei Vereinen wie Schalke 04 zu bleiben, da sehen die Leute das und da passiert ja dann auch etwas. Dort gibt es Fanprojekte oder Initiativen. Aber weiter unten im Amateurfußball liegen die Dinge zu oft unterhalb des Wahrnehmungsradars.

Das bedeutet?

Dort wird oft bagatellisiert bis hin zum: ´Ist ja nicht so schlimm´. Und dann wird ganz schnell die Person, die antirassistisch, antisemitisch oder antiziganistisch beleidigt, rehabilitiert, weil sie vielleicht ein bestimmtes Standing im Verein hat oder dort Sponsor ist. Da herrscht dann eher das Narrativ: Der ist schon seit 25 Jahren im Verein und verkauft hier jeden Sonntag Brötchen mit Würstchen: Also lassen wir das.

Was kann man dagegen tun?

Je älter die Menschen sind, desto verfestigter ist das ideologische Denken. Deshalb ist es wichtig, dass Sozialarbeiter mit Workshop und Bildungsarbeit schon bei den Jugendabteilungen und Nachwuchsorganisationen der Amateurvereine ansetzen, indem man das Thema Diskriminierung auf die Tagesordnung setzt. Wir erleben ja, dass Jugendliche von bestimmten Fangruppen rekrutiert werden und dann kommst du automatisch mit Feindbildern und Stereotypen in Kontakt, die dann auch jedes Wochenende zur Anwendung kommen. Deshalb ist es wichtig, früh anzusetzen. Nicht erst bei denen, die schon die einschlägigen Tattoos gestochen haben und als Ultras oder Hooligans unterwegs sind.

Wie machen Sie das?

Wir gehen, wenn das gewünscht wird, in die Vereine. Oder auch in Schulen. Das wurde beispielsweise auch schon von einem Amateurverein in Westfalen genutzt, bei der eine Frau eine prekäre Stellung im Vorstand hat und die uns angesprochen hat. Sie hatte es schwer, mit ihrer Meinung Gehör zu finden. Dort wurde inzwischen eine gendergerechte Sprache umgesetzt und jetzt begleiten wir den Prozess, dort vielleicht noch eine Antidiskriminierungsklausel aufzunehmen. Das geschieht aber völlig losgelöst von dem Meldeverfahren.

Glauben Sie, dass Fußball ohne Rassismus möglich sein wird? Wir brauchen einen Fußball ohne Diskriminierung. Wenn ich mir die Meldungen und die Onlineauswertungen, die wir bisher gemacht haben, anschaue, dann haben wir da aber noch eine ganze Strecke zu gehen. Und da sind wir dann auch schnell wieder bei Lars Ricken: Statements sind die Statements. Aber dann heißt es: „Wir müssen eine sportliche Antwort geben“. So kommen wir keinen Schritt weiter. Da wäre es dann aus meiner Sicht das Richtige, diese Spiele tatsächlich konsequent abzubrechen und vom Platz zu gehen. Auch im Amateurbereich. Dann hätten wir zwar erstmal gar nicht mehr so viele Spiele, die erst nach 90 Minuten beendet werden. Aber, wenn das kontinuierlich durchgesetzt wird, könnten wir eine Veränderung herbeiführen.

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