Sebastian Kehl ist auch tags drauf noch „etwas ernüchtert“, wie der Sportdirektor von Borussia Dortmund selbst am Telefon sagt. Die 0:3 (0:2)-Niederlage bei RB Leipzig hat Spuren hinterlassen. „Wir waren alle sehr enttäuscht und geknickt“, sagt Kehl. „Die Niederlage war verdient. Wir hatten nie wirklich das Gefühl, noch einmal ins Spiel zurückkommen zu können, weil wir kaum Tormöglichkeiten hatten“, meint Kehl. Schlimmer noch: „Wir waren das gesamte Spiel über nicht auf Augenhöhe und haben nicht die richtigen Lösungen gefunden.“
So weit, wie vor allem das Umfeld den BVB wähnte, ist die Mannschaft offenkundig nicht, das wurde in Leipzig deutlich. Dabei waren die Voraussetzungen gar nicht so schlecht gewesen: Es wartete ein durch viele Misserfolge verunsicherter Gegner, dessen neuer Trainer, der ehemalige Dortmunder Marco Rose, nur zwei Tage Zeit hatte, das Team auf seine Ideen einzuschwören. Die Borussia dagegen hatte zuletzt viele Erfolgserlebnisse vorzuweisen und dabei vor allem mit neu entdeckter Lust an der Arbeit und am Kampf gefallen.
BVB baut Gegner RB Leipzig auf
Davon allerdings war in Leipzig nur in den ersten fünf Minuten etwas zu sehen. Dann schlug Dominik Szoboszlai eine Ecke für die Gastgeber, und im Zentrum ließ Nico Schlotterbeck seinen Gegenspieler Willi Orban ohne großen Widerstand davonlaufen und einköpfen (6.). Die Sachsen agierten fortan mit deutlich mehr Selbstvertrauen – und überzeugten mit jenen Eigenschaften, die zuletzt den BVB ausgezeichnet hatten: „Leipzig war aggressiver und intensiver als wir und auch klarer in den Aktionen“, haderte Kehl.
Und die Dortmunder machten Fehler, zu viele Fehler. Nicht nur Schlotterbeck erwischte einen gebrauchten Tag, auch die Außenverteidiger Thomas Meunier und Raphael Guerreiro, der zeitweilig gar das Verteidigen einstellte. Weiter vorne fanden Julian Brandt und Marco Reus nie zu einem Kombinationsspiel, und Anthony Modeste gab außerhalb des Strafraums erneut den Stürmer von der traurigen Gestalt. Und auch im Kollektiv agierten die Dortmunder unglücklich. Sowohl das 0:2 durch Szoboszlais herrlichen Fernschuss (45.) als auch das 0:3 durch Amadou Haidara (84.) fielen nach Dortmunder Ballverlusten im Spielaufbau.
Im BVB-Spielaufbau wird improvisiert
Ein Gegner, der der Mannschaft mit mehr Intensität und Aggressivität den Zahn zieht, dazu schlimme individuelle Aussetzer und immer mehr Frust und weniger Leistungsbereitschaft – die Partie wirkte wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Und es zeigten sich einige Schwächen, die gegen Spitzenmannschaften nicht so einfach kaschiert werden können: Offensiv ist der BVB noch nicht auf dem Niveau vergangener Spielzeiten, acht Tore in sechs Ligaspielen sind eher wenige. Mittelstürmer Modeste ist noch immer nicht gut eingebunden ins Spiel, offenbart aber auch technische Schwächen.
Der Spielaufbau ist noch zu sehr abhängig von Improvisation und der individuellen Qualität der Dortmunder. Dazu kommen die eklatanten Personalprobleme: Ein Mahmoud Dahoud hätte dem BVB-Spiel deutlich mehr Struktur geben können, mit den drei Flügelspielern Donyell Malen, Karim Adeyemi und Jamie Bynoe-Gittens fehlt eine Menge Tempo. „Natürlich haben wir mit Spielern, die uns aktuell fehlen, eine deutlich höhere Geschwindigkeit, um Räume hinter der Abwehrkette zu bedrohen“, sagt Kehl. „Aber wir müssen es auch in dieser personellen Situation besser machen.“
BVB am Mittwoch gegen Manchester City mit mehr Optionen
Der Dortmunder Rückfall kommt zur Unzeit, am Mittwoch wartet eines der schwerstmöglichen Spiele: die Champions-League-Auswärtspartie beim englischen Meister Manchester City (21 Uhr/DAZN). Bis dahin müssen die Dortmunder die verloren gegangene Intensität und Aggressivität wiederfinden. Gerade gegen diese spielstarke Mannschaft, die Gegner gerne mit ihrem Ballbesitz erdrückt, braucht es gute Umschaltaktionen. „Wir werden da gefordert sein, sehr gut zu verteidigen, gut zu stehen“, sagt Kehl. „Wir müssen aber immer wieder auch Entlastung schaffen. Dazu braucht man eine gewisse Geschwindigkeit.“
Da wäre es hilfreich, wenn Malen und Adeyemi wieder dabei wären. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir am Mittwoch ein paar neue Optionen dazubekommen“, sagt Kehl. „Wie der Trainer sie einsetzen kann, müssen wir abwarten, das hängt vom Verlauf der nächsten Tage ab.“