Denn diese Mannschaft verstand es, hohe Spielkunst mit Effizienz zu verbinden. Und sie hatte einen Star: Roger Milla, der durch seine vier Turniertreffer, vor allem aber den anschließenden Tanz um die Eckfahne legendär wurde. Seinen späten Ruhm hat Milla Kameruns Präsident Paul Biya zu verdanken. Denn der entschied vor dem Großereignis höchstpersönlich, den damals 38-Jährigen mit nach Italien zu nehmen. Eigentlich hatte sich der Angreifer schon ein halbes Jahr zuvor auf La Réunion zur Ruhe gesetzt, doch Biyas Ruf folgte er bereitwillig.
Der Rest könnte eine Erfolgsgeschichte sein, die mit den sympathischen Auftritten der „Unzähmbaren Löwen“ und Millas Wahl zu Afrikas Fußballer des Jahres 1990 endete. Doch die Story geht weiter, weil der Stürmer nach der WM die Chance witterte, das große Geld zu machen. Interviews führte er nur noch gegen Bares, und beim Freundschaftsspiel in Wembley lief Milla nicht auf, weil Gastgeber England ihm kein Extra-Honorar zahlen mochte.
„Irgendwo im Busch verschwunden“
Kein Klub konnte auf seine immensen Forderungen eingehen. Schalke 04 unterbreitete ihm ein Angebot, doch Milla reagierte darauf noch nicht einmal. „Der ist irgendwo im Busch verschwunden“, stellte der damalige S04-Präsident Günter Eichberg schließlich konsterniert fest.
Als Milla nach monatelangen Verhandlungen in aller Herren Länder noch immer keinen lukrativen Vertrag bekommen hatte, schloss er sich schließlich Tonerre Yaoundé an. Mit regelmäßigen Unterbrechungen kickte er für den Spitzenklub seines Heimatlandes, um anschließend bei der WM 1994 ein Fiasko zu erleben.
Der älteste WM-Torschütze
Kamerun schied sang- und klanglos in der Vorrunde aus. Immerhin konnte sich der Oldie durch seinen Treffer beim 1:6 gegen Russland als ältester WM-Torschütze in die Geschichtsbücher eintragen und sich für ein Engagement in Indonesien empfehlen.
Den Hüftschwung beherrscht der Oldie noch (Foto: firo).
Es war seine letzte Station, ehe sein alter Freund Biya ihm zu einer neuen Karriere verhalf. Denn mit dem Ende seiner Zeit als Fußballer startete Albert Roger Mooh Miller, der sich Milla nennt, um afrikanischer zu klingen, eine neue Laufbahn als Politiker. Seine Hauptaufgabe besteht nun darin, in die Kameras zu lächeln. Eine bequeme Tätigkeit, die er ohne weiteres mit seinem Leben im französischen Montpellier verbinden kann. In seiner Funktion als Ehrenbotschafter Kameruns traf der Mann mit der markanten Zahnlücke Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, Stevie Wonder und Franz Beckenbauer. Dem Papst und Mutter Theresa war er schon zuvor begegnet.
Aus dem einstigen Publikumsliebling war da längst ein alter Mann geworden. Einer, der mit ausladenden Handbewegungen spricht. Einer, der laut redet, so, als müsse er seine Macht unterstreichen. Und Milla ist mächtig, weil er sich mit dem mächtigsten Mann seines Landes gut stellt. Biya, der wie ein Diktator regiert und sich seit 28 Jahren mit zweifelhaften Methoden an der Spitze der Regierung hält, beschaffte seinem Schützling den Rang eines Ministers.
Präsidenten-, keine Personenverehrung
Der würde mit seinem Auftreten fast wie ein Politiker wirken, wenn man nicht auf den Inhalt seiner Reden achten würde. Denn Milla stammt aus einfachen Verhältnissen, und so sehr er sich bemüht, das merkt man ihm an.
Stattdessen verfügt er über einen starken Instinkt, der ihm einst den kürzesten Weg zum Tor und jetzt den an die Macht weist. Er ahnt wohl, dass der 77-jährige Biya der stärker werdenden Opposition nicht ewig trotzen kann. Und deshalb kündigt er vorsorglich schon einmal an: „Wenn er geht, wird es einen neuen Präsidenten geben, den ich verehren werde.“ Vielleicht kommt er dann ja doch noch an den Posten des Nationaltrainers, den er sich schon so lange erhofft.
Erschreckende Kaltschnäuzigkeit
Wenn es nach Sympathien innerhalb der Mannschaft gehen würde, käme er für das Amt wohl nicht infrage. Vor zwei Wochen brachte sich Milla mit scharfer Kritik an Kameruns Starstürmer Samuel Eto’o ins Gespräch, woraufhin dieser laut über die Absage seiner WM-Teilnahme nachdachte.
Von Milla kritisiert - Samuel Eto'o (Foto: firo).
Die Kaltschnäuzigkeit, die Milla als Spieler noch auszeichnete, wirkt mittlerweile erschreckend. Vor einigen Jahren organisierte er einige Spiele von Pygmäen im riesigen Omnisports-Stadion. Es fanden sich jedoch kaum mehr als 50 Zuschauer ein, und Milla reagierte, indem er die 120 Pygmäen zwischen den Spielen in den Katakomben der Arena einschließen und nur selten mit Essen versorgen ließ. Schon damals berichtete der Sportjournalist Simon Kuper von den Vorkommnissen, doch in die westliche Welt drang die Nachricht bis heute nicht durch.
Wie sonst ließe sich erklären, dass der Ehrenpräsident des kamerunischen Fußballverbandes nebenbei als UN-Botschafter und als Athletenbotschafter der Entwicklungshilfeorganisation Right to Play tätig ist? Kamerun scheint in der Sicht der Öffentlichkeit immer noch Weltmeister der Herzen und nicht der Korruption sein. Es ist vermutlich bequemer, sich an einen lächelnden Lambada-Tänzer zu erinnern. Dass Milla 1990 einen Makossa-Tanz aufgeführt hat, ist da nur noch ein unwichtiges Detail.