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Die Mauern stehen sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.
Bin ich wirklich der Einzige, der angesichts der spielerisch absolut gerechtfertigten Pleite gegen Kroatien den allgemeinen Katzenjammer nicht teilt? Nein, sicher nicht. Nach einigen schönen Kombinationen und technischen Kabinettstückchen gegen die vermeintliche Fußball-Weltmacht Polen waren ja Jogis Nutella-Mäulchen für viele schon der kommende Europameister. Die Boulevardpresse jubelte, der Kaiser entschied: „Wir verlieren kein Spiel in der Vorrunde“, die Kommentatoren verkündeten unisono das „neue Sommermärchen“ (Ich kann dieses Wort nicht mehr hören!) und im Gleichschritt tanzte das Volk willig in die schwarz-rot-goldene Spaßgesellschaft. Public viewing überall. „Wollt ihr den totalen Spaß? Totaler als es je ein Spaß gewesen ist?“ Massenkompatibel grinste Johannes B. Kerner dazu in die Kamera und prophezeite: „Irgendwo ist immer Party!“ Warum die anderen überhaupt noch in der Österreich und der Schweiz spielten, konnte keiner so recht erklären.
Mit dieser leider oft anzutreffenden deutschen Arroganz wurde die anderen abgewatscht. Besonders die Italiener. Mit denen hat man ja seit Jahrzehnten eine Rechnung offen. Da bekamen dann sogar die Holländer Applaus. Wir Deutsche können durchaus gute Verlierer sein, das wurde 2006 sympathisch deutlich, aber noch immer sind wir miserable Gewinner, wenn auch nur potentielle. „Scheiß Kroaten“, murmelten ein paar Jugendliche in meiner Stammkneipe nach dem Abpfiff des Spiels. Sie waren mit den grundlegenden Fußballfanaccessoires ausgestattet: Trikots, Kettchen und Mützen. Während des Spiels hatten sie die ganze Zeit hinter meinem Rücken nur herumgesabbelt. Spaß-Fans halt, keine Menschen, die den Fußball mit Leidenschaft verfolgen. Heute ist der Spaß rund, morgen ist es DSDS und übermorgen irgendetwas anderes.
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Die deutsche Elf reichlich bedient, nachdem die Kroaten die Rechnung für die Selbstgefälligkeit präsentiert hatten.
Nein, für die Spaß-Fans kam die Schafskälte rechtzeitig und für den nationalen Hochmut die Truppe von Slaven Bilic, die ansonsten mit ihrem ultra-nationalistischen Gehabe sicher nicht zu meinen Lieblingen gehört. Ein bisschen Demut und Bescheidenheit können wir auf jeden Fall gebrauchen. Und vielleicht bewirkt es ja auch sportlich etwas Gutes: Die deutsche Elf kann einen engagierten Offensivfußball spielen - nicht aufgrund der spielerischen Klasse der Individualisten, wie die Niederländer oder die Portugiesen, sondern als Team. Dazu gehört aber ein ganz anderes Engagement als das pomadige Auftreten gestern. So spielt man, wenn man von allen hochgejubelt wird und sich schon vorher als Sieger fühlt. Vielleicht kam die Niederlage zu rechten Zeit, um noch als Chance genutzt werden zu können.
Auch deswegen: Danke, Kroatien!