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Darum entschied sich "Schweini" gegen eigene Kurve

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Elfmeter: Darum entschied sich "Schweini" gegen eigene Kurve
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Es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, dass Manuel Neuer schon so einiges in seiner Karriere erlebt hat.

Der Torhüter ist 30 Jahre alt, stand in 70 Spielen für Deutschland zwischen den Pfosten, dreimal wurde er Welttorhüter des Jahres. Doch für das, was sich da am späten Samstag im Stade de Bordeaux um kurz vor Mitternacht abspielte, fehlten sogar Deutschlands Nummer eins die Worte.

„Ich habe schon ein paar Elfmeterschießen mitgemacht“, sagte der Wahl-Münchner schließlich, „aber so etwas habe ich wirklich noch nie erlebt.“ 7:6 hatte Deutschland gerade Angstgegner Italien nach Elfmeterschießen bezwungen. Doch das nackte Ergebnis konnte nicht im Geringsten ausdrücken, was Minuten zuvor auf dem Rasen passiert war. „Das“, sagte Neuer, „war ein wirkliches Drama.“

Die Kurzform des Dramas geht in etwa so: 1:1 nach Verlängerung. Und weil es das Uefa-Reglement seit 1976  vorsieht, dass in solchen Fällen die Entscheidung auf den Punkt gebracht werden muss, passierte genau das: Elfmeterschießen. Neun Elfmeter hüben, neun Elfmeter drüben. 18 Schüsse für die Ewigkeit. Am Ende sollten drei Deutsche und vier Italiener verschießen. Deutschland hatte 7:6 n.E. gewonnen. Ende gut, alles gut.

Die Schnellform dieses epischen Elfmeterschießens reicht aber selbstverständlich nicht für eine angemessene Würdigung aus. Denn das Drama, und auch das passte zu dieser Geschichte voller Helden und Deppen, begann weit vor dem ersten Schuss aus elf Metern.

So schien Viktor Kassai zunächst gar nicht glauben zu können, was er da im Anschluss an die Verlängerung zu hören bekam. Der ungarische Schiedsrichter stand nach 120 Minuten am Mittelkreis mit Bastian Schweinsteiger und Gianluigi Buffon und fragte den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, ob er das wirklich ernst meinte, was er da gerade gesagt hatte. Schweinsteiger nickte, Kassai zuckte mit den Schultern und zeigte mit den Arm in Richtung italienischer Kurve. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste, verriet Schweinsteiger eine knappe Stunde später: „Ehrlich gesagt hatte ich die Seitenwahl gewonnen. Aber ich habe mal kurz nachgedacht, wie das eigentlich so in der Vergangenheit war.“

Schweinsteiger dachte also nach und erinnerte sich an ein bitteres Elfmeterschießen im Champions-League-Finale 2012 gegen Chelsea. Schweinsteiger und die Bayern schossen auf die eigene Kurve – und verloren. Dann war da noch das erfolgreiche Elfmeterschießen 2013 gegen Real Madrid. Schweinsteiger und die Bayern schossen auf die gegnerische Kurve – und gewannen.

„Und schließlich war da ja noch das erste Elfmeterschießen hier in Frankreich“, sagte Schweinsteiger. Schweiz gegen Polen. Die Schweizer gewannen die Seitenwahl, die Polen das Elfmeterschießen. „Also dachte ich mir: Dann lass uns mal lieber auf die italienische Kurve schießen“, sagte der Mittelfeldmann selbstbewusst. „Und die italienischen Fans haben sich dann ja auch sehr gefreut.“

Nun sehen es die ungeschriebenen Regeln eines solchen Elfmeterschießens vor, dass man am Ende dieses ultimativen Mann-Mann-Vergleichs Depp oder Held ist. Drin oder gehalten, schwarz oder weiß. Ein Kompromiss ist in diesem Fall keine Lösung. „Das war ein Nervenkrieg“, so Neuer, der zunächst als erstes ins Tor musste. Insigne trat an – und traf. 2:1 für Bella Italia. Für Deutschland folgte Toni Kroos. 2:2.


Dann der erste Höhepunkt dieses Dramas in neun Akten. Der nur für dieses Elfmeterschießen eingewechselte Simone Zaza tippelte, schaute, tippelte, schaute, tippelte – und verschoss. Italien zu Boden betrübt – und wenig später wieder himmelhoch jauchzend. „Aus dem Spiel heraus werde ich in den nächsten Monaten nicht mehr antreten“, sagte Thomas Müller eine gute Stunde später, als er erklären musste, wie Buffon seinen Schuss halten konnte.

Der frühere Wolfsburger Andrea Barzagli traf ins Tor, Mesut Özil nur den Pfosten. 3:2 für Italien. „Dieses Auf und Ab war einfach nur schlimm“, sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff, der sich aber schon beim nächsten Schuss wieder freuen durfte: Graziano Pellè schoss am linken Pfosten vorbei, der eingewechselte Julian Draxler traf. 3:3. Dann kam der erste große Auftritt Manuel Neuers. „Ich habe immer wieder versucht, den Gegner zu lesen“, sagte der Torhüter, der bei Italiens Leonardo Bonucci Glück hatte. Schweinsteiger konnte also alles entscheiden – und scheiterte..

Giaccherini, 4:3. Mats Hummels, 4:4. Parolo, 5:4. Joshua Kimmich, 5:5. De Sciglio, 6:5. Jerome Boateng, 6:6. Und wieder Neuer, der Darmians Schuss parierte. Nun hatte es ausgerechnet der wortkarge Jonas Hector (siehe Seite 2), der in seiner Profikarriere noch nie einen Elfmeter schießen durfte, auf dem Fuß. Der Kölner kam, überlegte, lief an, schoss, traf und siegte. 7:6.


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„Das war an Dramatik nicht mehr zu überbieten“, sagte kurze Zeit später Hummels, der wahrscheinlich gar nicht wusste, wie Recht er doch hatte. Dabei musste Deutschland schon vor dem Duell mit Italien bei großen Turnieren in insgesamt sechs Elfmeterschießen antreten. Fünfmal gewann der Weltmeister. Nur vor 40 Jahren, 1976, hatte Uli Hoeneß den Ball in den Belgrader Nachthimmel geschossen.

„Daran habe ich natürlich nicht gedacht, dass wir eine so gute Statistik in den Turnieren hatten“, sagte Neuer. Laut Statistik ist Deutschland damit die beste Elfmetermannschaft der Welt. Fehlt nun nur noch eines: Der Titel der beste Fußballmannschaft Europas.

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