Wenn ich während der Weltmeisterschaft vor dem Fernseher sitze und ein Verteidiger den Ball aus dem Strafraum schlägt: Muss mir dann jemand erzählen, dass der Ball gerade nach vorne gedroschen wurde? Ich war doch soeben live dabei, ich habe es doch selbst gesehen.
Meister der Radio-Reportage im Fernsehen
Gibt es eigentlich noch TV-Reporter, die die Kunst des Schweigens beherrschen? Bei dieser WM verpassen sie regelmäßig Momente, in denen sie die Zuschauer mit den Bildern und den Gedanken dazu mal ungestört sein lassen könnten. Sie reden zu viel. Und sobald es spannend wird, schreien sie zu viel.
Der Meister der Radio-Reportage im Fernsehen ist Béla Réthy. Der ZDF-Routinier beschreibt fast alles, was jeder sieht („Da war der Winkel zu spitz, da stand schon wieder einer im Weg“). Zu seiner Ehrenrettung muss aber auch erwähnt werden, dass Réthy beim deutschen K.o. gegen Südkorea in guter Form war. Bester Satz: „Das ist hier alles keine Zeitlupe. Das sind reale Bilder.“ Da sprach er den Menschen aus der Seele. Gefühl ist eben auch wichtig in diesem Job.
"Ausgerechnet Schnellinger"
Im Halbfinale der WM 1970 in Mexiko fiel in der 90. Minute des sogenannten Jahrhundertspiels, das Italien gegen Deutschland mit 4:3 gewann, das 1:1, mit dem Deutschland die Verlängerung erzwang – durch den für den AC Mailand spielenden Karl-Heinz Schnellinger. Ein Wahnsinnsding, emotional vergleichbar mit dem Freistoßtor von Toni Kroos vor einer Woche gegen Schweden. Und was sagte Ernst Huberty am ARD-Mikro? „Ausgerechnet Schnellinger.“ Huberty brüllte nicht, Huberty setzte kein Ausrufezeichen. Man konnte den Punkt mithören. Danach: Stille. Auch deshalb wurden die beiden Worte zur Legende.
Will ich das heute noch so haben? Nein, will ich nicht. Aber das andere Extrem schon gar nicht. Heutzutage muss man ja schon froh darüber sein, dass nicht auch noch Jörg Dahlmann und Frank Buschmann auf die WM losgelassen wurden.