Persönlichkeit geht vor Laktatwert - „Russisches Roulette“ nannte Dirk Paul, Trainer der Spielvereinigung Gerthe die Maßnahme, seinen Trainerkollegen Christian Britscho in der Defensive aufzubieten. „Der Christian ist ein Mann, der mit seiner Art auf dem Platz zu reden und seinem Charakter besonders wichtig für unsere jüngeren Spieler ist,“ begründete „Pauli“ den überraschenden Schachzug, den Routinier trotz altersbedingt fehlender Spritzigkeit in der Anfangself aufzubieten. Der Schlüssel zum Erfolg lag aber nicht in dieser Umstellung, sondern vielmehr in der furiosen Anfangsphase der Gerther Gäste.
Die erwischten einen Auftakt aus dem Bilderbuch, gingen gleich nach dem Anstoß aggressiv zu Werke und bestraften die anfängliche Unordnung in der Altenbochumer Defensive schon in der zweiten Minute mit dem Führungstreffer. Patrick Gollan traf nach Vorarbeit von Kapitän Dirk Lenze, der jedoch schon eine Viertelstunde später mit Adduktorenproblemen ausgewechselt werden musste, zum 0:1.
Zu Spielbeginn kamen die Anhänger der ganz in blau spielenden Gerther aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Noch ehe die Gastgeber sich berappeln konnten, legte Martin Kostrzewski nach. Das 0:2 nach sechs Minuten resultierte aus einer tollen Einzelleistung des jungen Offensivmanns, beim Konter war Post-Torhüter Carsten Senkowski ohne Abwehrchance. „Wir haben die Anfangsphase komplett verpennt“, war dann auch die verständlich nüchterne Analyse von Post Altenbochum-Trainer Bernd Krampe.
Der Gerther Übungsleiter hatte ebenfalls eine Erklärung für den Traumsstart seiner Elf parat. „Nach der 1:4-Klatsche am letzten Wochenende sind wir extrem motiviert gewesen, Wiedergutmachung zu betreiben. Die Jungs haben super umgesetzt, was ich ihnen vor dem Spiel vorgegeben habe“, sagte Dirk Paul nach dem Spiel.
Die Gäste schienen zu Beginn in der Tat den entscheidenden Tick wacher und konzentrierter. Nach dem Blitzstart der Gerther befreiten sich die Gastgeber, ließen aber die Durchschlagskraft und die nötige Kaltschnäutzigkeit beim Torabschluss vermissen. So offenbarte Gäste-Keeper Marcel Sievers bei hohen Bällen Probleme, Posts Stürmer Kahled El-Saded traf nach einer schwachen Abwehr Sievers’ nach einer halben Stunde aber nur den Pfosten. Nach einer Ecke auf der Gegenseite streifte eine Bogenlampe ebenfalls nur das Aluminium. Statt des 0:3 fiel aber der Anschlusstreffer: In der 38. Minute bewies auch Post seine Qualität bei Tempogegenstößen und der auffällige El-Saded besorgte das verdiente 1:2.
Dass so auch der Halbzeitstand lautete, bedarf schon besonderer Erwähnung, da in der 41. Minute Altenbochums Angreifer Ahmad Hosan im Gerther „Sechzehner“ zu Fall gekommen war und der bisweilen überfordert wirkende Unparteiische Elfmeter pfiff. Der Gefoulte trat selbst an, Gerthes Schlussmann parierte jedoch und war auch beim Nachschuss zur Stelle. Da Dennis Schiemann aber zu früh in den Strafraum gelaufen war, hatten die Gastgeber eine weitere Gelegenheit, um vom Punkt zum Ausgleich zu kommen. Der zweite Versuch Hosans saß, der Schiedsrichter hatte den Strafstoß jedoch noch nicht freigegeben. Beim dritten Anlauf war dann endlich alles regelkonform. Marcel Sievers reagierte erneut glänzend, für Post Altenbochum war auf dem Weg in die Kabine diese Episode ohne zählbares Resultat.
Nickligkeiten und hektisch geführte Zweikämpfe bestimmten in Hälfte zwei lange Zeit das Spielgeschehen. Nach einer Stunde waren die Gastgeber in Begriff, das Spiel zu drehen. Dem sehenswerten 2:2-Ausgleichstreffer durch Kahled El-Saded folgte jedoch postwendend die erneute Gerther Führung. Wieder war es Patrick Gollan, der nach einem Freistoß von Spielmacher Dennis Schiemann abstauben konnte und für die Gäste das 3:2 besorgte.
Die Altenbochumer betrieben in der Schlussphase großen Aufwand, das letzte Tor des Spiels war allerdings nicht der 3:3-Ausgleichstreffer, sondern die Entscheidung. Patrick Gollan schnürte seinen Dreierpack und schloss einen weiteren Konter in der 77. Minute eiskalt ab. Auch die lange Nachspielzeit brachte für die Krampe-Elf nichts Zählbares mehr ein - das 4:2 für die Spvgg. Gerthe war der Endstand der packenden Spitzenpartie.
Nach Punkten ziehen die Gäste nun in der Tabelle mit dem Gegner vom zweiten Adventssonntag gleich, womit sich der Verein aus dem Bochumer Norden neuen Ambitionen widmen kann. Denn für Dirk Paul ist seit dem erfolgreichen Rückrunden-Auftakt der Aufstieg in die Bezirksliga kein Tabu mehr. Was eine noch härtere Trainingsarbeit nach der Winterpause bedeutet. Und für Trainingsmuffel kündigt das Gerther Trainergespann süffisant schon mal ein wenig erbauliches Frühjahr an: „Die Jungs werden uns hassen.“
„Heute hat die glücklichere Mannschaft gewonnen“ meinte Bernd Krampe zur Heimniederlage seiner Truppe. Ob der Gerther Sieg wirklich eher glücklich als verdient war, kann indes diskutiert werden. Ein anderes Fazit können aber alle Beteiligten unterschreiben. Die emotionsgeladenen anderthalb Stunden am Pappelbusch erfüllten die Erwartungen an ein Topspiel zu 100 Prozent.