Spieler attackieren den Schiedsrichter, gehen sich untereinander an die Wäsche oder verstricken sich mit den Zuschauern in Handgemenge. Stets erfolgt der vorzeitige Abpfiff. Das Phänomen des Spielabbruchs ist vielschichtig. Nach Schätzungen von Funktionären liegt der Anteil von Spielabbrüchen bei den Verhandlungen der Kreisspruchkammern bei unter zehn Prozent. Im Klartext: In einem Fußballkreis wie Bochum, der drittgrößte in Westfalen, kommen in einer Saison etwa fünf bis zehn Abbrüche zusammen.
„Es gibt nicht mehr Fälle als früher. Und im Verhältnis zu den vielen friedlichen Partien ist das ein Wert im Nullkomma-Bereich“, sagt Thomas Berndsen vom Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW). Dennoch: Hochgerechnet auf das gesamte Ruhrgebiet mit seinen mehr als 1000 Mannschaften ergibt sich schon eine stattliche Zahl an nicht ausgetragenen Begegnungen. Und die Härte mancher Auseinandersetzung ist erschreckend.
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Die Auslöser sind oft nichtig. Doch in der Emotion eines Fußballspiels führen unberechtigte Platzverweise, nicht gegebene Elfmeter, kleine Provokationen oder zweifelhafte Tore zu Kurzschlussreaktionen bei Spielern und Zuschauern. „Es passiert selbst Profis. Ich denke da nur an Zinedine Zidane im WM-Finale 2006“, meint Thomas Berndsen. Der große Unterschied: Im Profibereich führen solche Aussetzer auf dem Platz oder auf den Rängen nicht zu Spielabbrüchen. „Ohne Disziplin kommt man eben nicht nach oben“, sagt Helmut Jersch, Vorsitzender der Kreisspruchkammer Bochum. Bei randalierenden Zuschauern hilft im Profibereich die Polizei, die jeden Winkel der Stadien zwischen Regional- und Bundesliga überwacht.
Doch zurück in die Kreisliga, wo weder gut erzogene, steinreiche Profis, noch ausgebildete Ordner auf dem Platz stehen. Helmut Jersch bekam in „seiner“ Spruchkammer im Kreis Bochum in der jüngsten Vergangenheit einige Fälle auf den Tisch. „Doch mehr als die Hälfte der Matches wurden zu Unrecht abgebrochen“, erklärt der Funktionär. Er sieht dies im Schiedsrichtermangel und der dadurch sinkenden Qualität begründet. Denn die Spielordnung in der Satzung des FLVW (§ 29) sieht einen Abbruch erst vor, „wenn der Schiedsrichter alle Machtmittel ausgeschöpft hat.“ Dies sei häufig nicht der Fall, meint Jersch. „Oft bricht ein Schiedsrichter wegen Dingen ab, die er gar nicht gesehen hat.“ Nicht selten verlassen die vermeintlichen Streithähne nach dem frühzeitigen Abpfiff das Spielfeld Arm in Arm.
Eine Schwierigkeit in der anschließenden Spruchkammerverhandlung: Die Unparteiischen stehen zu ihrer Version, Vereine werden zu Unrecht bestraft. „Aber im Kreis Bochum können wir uns auf unsere Schiedsrichter verlassen“, glaubt Jersch. Ohnehin könne man das Problem nicht „global“ behandeln, sondern müsse die Einzelfälle von Kreis zu Kreis sehen.
In den meisten Fällen ist es ohnehin schwierig, im Nachhinein eine gerechte Bestrafung zu finden. Die meisten abgebrochenen Spiele werden neu angesetzt, da sich ein Hauptschuldiger nur schwer ausmachen lässt. „Es ist schwierig, den gesamten Verein für etwas zu bestrafen, was einzelne Spieler oder Zuschauer verursacht haben“, erklärt Thomas Berndsen.
Welche Lösungsansätze für dieses Problem stehen bereit? Der Start muss in den Vereinen selbst gemacht werden, wo Disziplin und eine gute Außendarstellung vor emotionalen Befindlichkeiten stehen sollten. In vielen Kreisen gibt es deshalb Problemlotsen, die oftmals als Pädagogen gefragt sind. „Sie können in vielen Fällen helfen“, sagt Jersch. Die höchste Kontrollinstanz ist die so genannte Verbandsaufsicht. Wer erst einmal vom FLVW beobachtet wird, darf sich nichts mehr erlauben.
Denn sonst drohen hohe Strafen oder sogar der Ausschluss aus dem Spielbetrieb. Sind die Täter klar identifizierbar, gehen viele Kreise mit harten Mitteln vor. Im Kreis Duisburg wurde ein Spieler wegen Anspuckens des Schiris für neun Monate aus dem Verkehr gezogen, ein anderer muss nach einer Tätlichkeit 18 Monate pausieren. Es wird deutlich: Gewalt auf dem Fußballplatz lohnt sich letztlich nie. Sieg oder Spielabbruch - diese Formel löst sich niemals auf.
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