Steffen Freund, was bedeutete der Insel-Aufenthalt für Sie?
Der Wechsel nach England war wichtig für die Erweiterung meines Horizonts und ist von den Erfahrungswerten nicht mehr wegzudenken. Ich habe in London eine ganz neue Welt kennengelernt.
Warum begeistert der britische Fußball die Deutschen so sehr?
Ich habe fünf Jahre in England gespielt, das Fan-Sein kommt nicht von ungefähr. Die englische Mentalität begeistert einfach schneller. Du spürst sofort, wenn du ins Stadion kommst: Heute ist Festtag! Es geht die Post ab. Das gilt für Spieler und Fans gleichermaßen. Das soll nicht heißen, in Deutschland ist die Atmosphäre schlecht. Aber es gibt eben grundlegende Unterschiede. In England wird richtig gekämpft, die Aktionen werden gefeiert, es muss immer zur Sache gehen. Es ist wirklich etwas Besonderes, im Mutterland des Fußballs zu spielen. Das muss man einfach erlebt haben. Bei den Leuten kommen mehrere Dinge gut an. Der eine lobt die Fairness, der andere das immense Tempo, der nächste die Stimmung. Es gibt zig interessante Elemente, die zusammen kommen.
Sie sind mit dem BVB Deutscher Meister, Champions League- und Weltpokal-Sieger geworden. In Tottenham sprang „nur“ der Pokal heraus. Wo hatten Sie die schönere Zeit?
Ich gebe diese Antwort gerne. Auch, wenn die Leute in Dortmund jetzt sagen, der Freund ist ja bescheuert: Die schönste Zeit war in England. Auf der Insel war immer ein Teil Genießen dabei.
Können Sie das näher erläutern?
Bei Tottenham haben wir uns am Samstag vor dem Spiel getroffen, sind mit dem Auto an den Fans vorbei ins Stadion gefahren. Es gab kein Trainingslager, das war ganz normal, man hat zuhause geschlafen. Insgesamt ging es etwas lockerer zu. Diese Lockerheit schlägt allerdings keineswegs in Einstellungs-Probleme um. Alle geben Gas, wenn ab 15 Uhr um Punkte gespielt wird. Über so etwas kann man ruhig hierzulande ein Mal nachdenken.
Geboren am: 19. Januar 1970 in Brandenburg an der Havel. Aktive Laufbahn: BSG Motor Süd Brandenburg, BSG Stahl Brandenburg, FC Schalke 04, Borussia Dortmund, Tottenham Hotspur, 1. FC Kaiserslautern, Leicester City. Bundesliga-Spiele: 178. Bundesliga-Tore: 9. Premier-League- Spiele: 114. Länderspiele: 21. Erfolge: Deutscher Meister 1995, 1996, Champions League-Sieger 1996, Weltpokal-Sieger 1997, Europameister 1996, englischer Pokal-Sieger.
Aktuelle Tätigkeit: Seit 1. September 2007 Assistent von U20-National-Trainer Frank Engel.
Vergleichen Sie doch Mal englische und deutsche Spielweise.
Anstrengung, Einsatz, Wille - das ist alles viel intensiver als in der Bundesliga. Als ich 1999 bei den Spurs begonnen habe, dachte ich: Was ist denn hier los? In Deutschland bin ich allen weggerannt, in England hattest du keine Luft zum Atmen. Da spielten auf jeder Position plötzlich genauso Verrückte wie ich. Bei Borussia Dortmund konnten wir auch Mal ein Liga- Match im Vorbeigehen gewinnen. Das geht in der Premier League überhaupt nicht. Moment: Am letzten Spieltag wurde Abstiegs- Kandidat Derby County von West Ham 5:0 abgefrühstückt.
Außer Derby haben alle Teams Super-Stars in ihrem Kader. Die holen nicht nur einen Klasse-Mann, sondern gleich elf Stück. Bei Manchester United, Arsenal oder Chelsea sieht es noch etwas anders aus, da stehen nur Top-Spieler unter Vertrag, die dann auch Mal auf der Bank sitzen.
Dieses Problem hat gerade Jens Lehmann bei Arsenal oder auch Kevin-Prince Boateng, der von Hertha nach Tottenham kam und dort zunächst keine Berücksichtigung fand.
Boateng brauchte lange, um sich durchzusetzen. Der Trainer-Wechsel von Martin Jol zu Juande Ramos kam ihm zugute. Kevin ist zweifellos ein Riesen-Talent, aber man darf nicht vergessen, wie der Kader von den Spurs aussieht. Die Leute bewegen sich alle auf Top-Level, obwohl die Truppe in der Liga im unteren Drittel steht.
Der englische Fußball hat durch die internationalen Einflüsse an Klasse gewonnen. Trotzdem wird häufig die verstaubte „Kick-and-Rush“-Schublade aufgemacht. Ein Fehl-Urteil?
Es gibt in England selten langweilige Spiele. Das sind doch Alibi-Aussagen von Experten wie Günther Netzer. Für mich absoluter Schwachsinn und einfach grausam. Die Frage ist doch: Warum werden teilweise die langen Bälle auf die Stürmer geschlagen? Ganz einfach: Weil der Gegner dir so zusetzt und dich schon am eigenen Strafraum auffressen will. Ich sage ganz klar: Der englische Club-Fußball hat uns in Sieben-Meilenstiefeln überholt. Wenn wir in Deutschland so weitermachen, ist bald auch der dritte Champions League-Startplatz weg. Schon zu Beginn meiner Zeit in Tottenham habe ich gesagt: Leute, passt mir auf die Engländer auf! Damals hat man das nicht so ernst genommen. Mehr über Deutsche im englischen Fußball, unter anderem mit Geschichten und Interviews über Lars Leese ("Der Traumhüter") und Felix Bastians, gibt es in einem RS-Spezial in der aktuellen Sonntagsausgabe des RevierSport