Er ist eine Besonderheit im deutschen Profifußball. Vor ihm hat es noch keiner geschafft, als Freigänger bei einem Zweitligisten einen Vertrag zu bekommen, zu groß sind für gewöhnlich die Vorurteile der letztlich verantwortlichen Vereinsmanager. Doch Koc passt auch nicht so recht in dieses Klischeebild des Knackis, er ist vielmehr der liebe Kerl, von dem Immanuel Kant zutiefst enttäuscht gewesen wäre, weil er seine Fähigkeit zur Vernunft nicht nutzte.
Als Koc im April 2011 wegen der Beteiligung an Überfällen auf Casinos und Cafés verhaftet wird, scheint seine Profikarriere beendet. Für den SV Babelsberg spielte der Berliner Junge damals in der 3. Liga, sie schätzten ihn nicht zuletzt wegen seiner ungemeinen Schnelligkeit. Monatelang war er danach weg vom Fenster, wartete in Untersuchungshaft auf die Gerichtsverhandlung, in der er letzten Endes zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Anfang 2012 wurde er in den offenen Vollzug verlegt, bekam also die Möglichkeit, die Haftanstalt tagsüber zu verlassen. Und im Juni stand er wieder beim SV Babelsberg auf der Matte. Christian Benbennek, damals Trainer der Potsdamer, erinnert sich: „Ich hatte damals zugegebenermaßen Vorurteile wegen der Geschichte und wollte ihn eigentlich nicht. Aber in Babelsberg kannte man ihn ja persönlich und hat mich überredet, ihn wenigstens einzuladen.“ Und weil ein Gespräch ja außer ein wenig Zeit nichts weiter kostet, ließ sich Benbennek breitschlagen.
Einer, zu dem seine Vorgeschichte nicht passt
Der Fußballlehrer staunte nicht schlecht, als ihm dann ein argloser, harmlos daherkommender Spieler gegenübersaß. „Das war ein anderer. Oder jedenfalls keiner, zu dem die Geschichte passte“, erzählt Benbennek weiter. Er teilt die Einschätzung vieler, die dem Angreifer schlicht und ergreifend die falschen Freunde bescheinigen. Das war auch der Tenor beim SC Paderborn im Rahmen der Spielerpräsentation. Gegenüber Focus Online erklärte SCP-Manager Michael Born: „Er hat eine riesengroße Dummheit begangen, aber er ist auch ein bisschen da reingeraten. Wir sehen es als Aufgabe unseres Vereins an, zur Resozialisierung des Menschen Koc beizutragen.“
Erstaunlich ist dennoch, dass Koc nicht durch das Raster durchgefallen ist, sondern sich stattdessen irgendwie im Profifußball gehalten hat. Zum einen hat das sicherlich mit dem unschuldigen Erscheinungsbild des Deutsch-Türken zu tun, dem keiner so richtig den bösen Jungen abkaufen möchte. Zum anderen sind da seine nicht abzustreitenden fußballerischen Qualitäten. Koc gilt auf dem Flügel als pfeilschnell und zu Zweitligafußball durchaus befähigt. Darüber zu spekulieren, wohin er es gebracht hätte, wenn sein Privatleben nicht so viel Kraft gebündelt hätte, ist müßig – aber der Gedanke, dass nicht das gesamte ihm innewohnende Potenzial zur Entfaltung gekommen ist, drängt sich dennoch auf.
In Babelsberg bekam Koc Fanpost von anderen Häftlingen
Zeitgleich mit seiner Verpflichtung in Paderborn wurde die Haftstrafe in eine Bewährungsstrafe umgewandelt, sonst hätte Koc in eine Haftanstalt in der Nähe von Paderborn verlegt werden müssen, um am täglichen Trainingsbetrieb des Zweitligisten teilnehmen zu können. „Den Wechsel zum SCP betrachte ich als Beginn in ein zweites Leben“, sagte ein überglücklicher Koc bei seiner Präsentation im Januar. Sein ehemaliger Trainer Benbennek, bei dem auch SCP-Trainer Andre Breitenreiter vor dem Transfer noch eine ‚Expertenmeinung‘ einholte, gönnt dieses zweite Leben niemandem mehr als seinem ehemaligen Schützling. „Jeder hat eine zweite Chance verdient. Und wenn einer sie nicht nur verdient sondern auch genutzt hat, dann ist das Süleyman.“ Und dann erzählt er noch von Fanpost, die Koc zu Babelsberger Zeiten zuflog. „Die Briefe kamen aus anderen Gefängnissen der Republik, von Häftlingen. Für viele von diesen ‚schweren Jungs‘ ist Süleyman ein Vorbild – das hat ihn immer mit Stolz erfüllt.“
Das ist auch so eine Eigenart an Koc. Wo sich andere vor Scham der Öffentlichkeit entziehen weil sie die Konfrontation mit den eigenen Fehlern scheuen, wählt er einen anderen Weg. Er weiß, dass er sein Stigma, der „Knast-Kicker“ zu sein, niemals loswerden wird. Aber noch hegt der 24-Jährige die Hoffnung, eines schönen Tages wie die anderen seiner Zunft behandelt zu werden. „Nach bewegten Jahren möchte ich mich in Paderborn jetzt voll auf Fußball konzentrieren.“ Und Paderborns Präsident Wilfried Finke ergänzt: „Süleyman verdient und braucht Respekt, um seine volle Leistung zu bringen.“
Mit beherzten Auftritten, ein paar Sprints an der Seitenlinie entlang und dem einen oder anderen Tor wird das nicht allzu schwer sein. Die Erinnerungsspanne im Fußball ist kurz – im Guten wie im Schlechten.