Walter Hellmich mag keine halben Sachen. Als der Vorsitzende des MSV vor etwa drei Monaten erklärte, dass "wir in der nächsten Saison eine neue und gute Mannschaft haben werden", wollte das erst kaum jemand für voll nehmen. Weil Hellmich aber zu jenen Leute gehört, die ihre Ankündigungen in der Regel auch umsetzen, räumte er seinen Laden richtig auf. Manager Detlef Pirsig wurde entmachtet, jede Menge Mitläufer vor die Tür gesetzt (notfalls mit frühzeitigen Vertragsauflösungen) und dafür bis dato 13 neue Leute verpflichtet. Ein paar Talente sind dabei, dafür kommen aber auch erstligaerprobte Akteure wie Dietmar Hirsch, Markus Kurth, Kai Oswald, Rob Maas oder der Zweitliga-Topsturm Miro Spizak und Josef Ivanovic. Halbe Sachen sind das beileibe nicht, eher wird in Duisburg momentan an einem "Full House" gebastelt. Denn Hellmich und seine Crew wolle keine Zeit verlieren. Viel zu lange dümpelte der MSV im Zweitliga-Mittelmaß und enttäuschte seine Anhänger. Beispielsweise in der gerade abgeschlossenen Saison. Zwar konnten die Zebras erstmals seit 1997 wieder mit einem Auftaktsieg (1:0 über Fürth) starten, doch anschließend mussten die Fans bis zum 8. Spieltag auf den nächsten Dreier (2:1 gegen Ahlen) warten. Wieder fand sich der MSV, wie schon in den beiden Zweitliga-Jahren zuvor, in der Abstiegszone wieder - und hatte mit Pierre Littbarski an der Kniescheiben einen Coach kleben, der in einer Tour über die miserablen Arbeitsbedingungen nörgelte. Am 3. November provozierte der Weltmeister von 1990 seinen Rausschmiss endgültig. Hellmich hatte die Nase voll. Der Mann mag eben keine halben Sachen. Stattdessen konnte er MSV-Denkmal Bernard Dietz zum Interims-Comeback überreden. "Enatz" holte in sechs Spielen 15 Punkte und schaffte somit die Grundlage, dass sein Nachfolger Norbert Meier in der Rückrunde sorgenfreier arbeiten konnte. Rein faktisch beendete der MSV die zweite Halbserie auf einem Abstiegsplatz. Dass der MSV trotz des Zwischenhochs aber nichts mit dem Aufstieg am Hut haben würde, war Insidern schon vorher klar. Meiers Auftrag war lediglich, die Saison zuende zu führen und hinter den Kulissen die Basis für einen Neuanfang zu legen. Das machte Meier gemeinsam mit seinem Assistenten Heiko Scholz und Scout Dieter Mertens in akribischer Kleinstarbeit. Immer wieder war das Trio auf Sportplätzen zu sehen und sichtete, was das Zeug hielt. Potenzielle Neuzugänge wurden nur noch Hellmich vorgeschlagen, der Boss prüfte dann die charakterlichen Voraussetzungen und die finanziellen Ansprüche der Kandidaten. Es ist bemerkenswert, dass durch die Bank alle bisherigen Neuzugänge erklärten, dass die Gespräche mit Hellmich und Meier den Ausschlag zum Wechsel an die Wedau gegeben hätten. "Die haben sich um mich bemüht, wie kein anderer Verein", war regelmäßig zu hören. Weil die Öffentlichkeit aber erst die Gegenwart sieht und dann an die Zukunft denkt, musste sich Meier im Rückrunden-Verlauf viel Kritik anhören. Gerade mal drei Partien wurden als gelungen bewertet: Das 2:2 gegen Köln, der 2:0-Sieg über Karlsruhe und der 3:2-Erfolg am letzten Spieltag gegen Freiburg. Für Meier eine fatale Situation, denn der Coach hatte keine Handhabe. Der ihm zur Verfügung stehende Kader war schwach besetzt, die Reservisten übten nicht mehr so viel Druck aus, dass sie für die Startaufstellung in Frage gekommen wären; die Möglichkeiten waren schlichtweg limitiert. Immerhin sprangen noch glückliche 1:0-Siege gegen Lübeck und Braunschweig heraus, was den MSV vor dem erneuten Rückfall in die Abstiegszone bewahrte. Im Mai verstummten aber auch die Kritiker. Zum einen, weil eben jede Menge Neue geholt wurden und "HMMS-Quintett" seine Ankündigungen umsetzte. Zum anderen, weil der MSV die Landesbürgschaft für den Stadionumbau erhielt und Hellmich bereits nach dem Freiburgspiel die Südkurve symbolisch einreißen konnte. In spätestens zwei Jahren soll die neue MSV-Arena fertig gestellt sein. "Wir geben jetzt Gas", lautet Hellmichs Lieblingssatz und Duisburg hat viel Spaß daran. Von der zurückliegenden Saison redet in Duisburg jedenfalls keiner mehr. Die Jahre der Dürre sind abgehakt, der Aufstieg in die Bundesliga ist ein erklärtes Ziel. Wenn es 2004 nicht klappt, dann spätestens 2005. Die Euphorie ist vergleichsweise gigantisch, alle fiebern dem Start der nächsten Spielzeit entgegen. "Wir bleiben nicht auf halber Strecke stehen", sagt Hellmich. Unfertige Projekte kann der Bauunternehmer auch niemandem verkaufen. Roland Leroi
Die Aufsteiger "Außer Dirk könnt ihr alle gehen". Die zwischenzeitlichen Ovationen der Fans waren Dirk Langerbein offiziell zwar ein wenig peinlich, gut getan haben sie aber doch. Der Torwart hatte es im zurückliegenden Jahr schließlich alles andere als leicht. Wurde erst Opfer von Littbarskis "Keeperspielerei", musste sich das Platz mit Tomasz Bobel teilen und wurde vom Ex-Coach öffentlich gedemütigt ("Dirk ist zufrieden, wenn er drei warme Mahlzeiten am Tag bekommt"). Dann setzte er sich - als "Litti" weg war - aber doch durch. Langerbein überzeugte mit Glanzreflexen, rettete manchen Punkt und avancierte sogar zum Publikumsliebling. Vielleicht mangels Alternative, denn in der Strafraum zeigt Langerbein weiterhin Defizite. Trotzdem erledigte er seinen Job ordentlich und war ein Garant dafür, dass der MSV nicht noch in den Tabellenkeller abrutschte. Was die Ligenzugehörigkeit angeht, sind auch Marius Ebbers und Philipp Bönig aufgestiegen. Beide wechseln diesen Sommer zu Erstligisten. Ebbers zum 1. FC Köln, Bönig zum VfL Bochum. Das Duo verdiente sich seine künftigen Verträge durch gute Leistungen in der Vergangenheit. Die zurück liegende Rückrunde muss bei dieser Bewertung allerdings außen vor gelassen werden. Nachdem Ebbers und Bönig ihre neuen Verträge unterschrieben hatten, sank deren fußballerisches Niveau rapide ab.
Die Absteiger Der Blick auf die Liste der Abgänge untermauert, dass es diese Saison jede Menge persönliche Absteiger gab. Freilich muss auch hier differenziert werden. Leute wie Hilmi Mihci oder Emerson Monteiro kamen nie über den Status Fehleinkauf hinaus. Wer nie aufgestiegen ist, kann auch nicht absteigen. Deshalb wird diese Rubrik mit langjährigen Zebras gefüllt, die jetzt aufhören werden. Thomas Vana und Horst Steffen beispielsweise. Beide zählen fast zum Inventar, kamen nach etlichen Verletzungen mit einer starken Motivation immer zurück. Das ist jetzt vorbei. Wäre das Duo fit, hätte es längst verlängern können. Weil das nicht der Fall ist, kommt es wohl zur Trennung. Bei Steffen ist das klar, Vana hat Mitte Juni noch einen Gesprächstermin. Vielleicht geht ja was als Vertragsamateur. Im fitten Zustand ist der Oestrumer ohnehin eine Option für jeden Profikader. Oder Sercan Güvenisik. Der eigenwillige Türke träumte einst von einer glorreichen Zukunft. Seit 1999 spielt er für die Zebras, manche meinen immer schon, er leide an Selbstunterschätzung. Fakt ist, dass er als dribbelstarker Wirbler immer für Bewegung sorgte. Auf dem Platz und auch daneben. Aus seinen Möglichkeiten machte er aber viel zu wenig, hängen bleibt nur die Erinnerung an den "Chancentod". Zuletzt durfte er nicht mal auf die Reservebank. Der MSV löste den Vertrag mit Güvenisik mittlerweile frühzeitig auf, neuen Interessenten stehen nicht Schlange. Zu nennen ist außerdem der "Spezialfall" Vasile Miriuta. Der Ungar kam in der Winterpause, hatte einen Ruf und galt im Trainingslager auf Mallorca als echte Verstärkung. Als es jedoch ernst wurde, vermisste man selbst seine zentimetergenauen Pässe. Menschlich gab es auch diverse Komplikationen, auch von ihm trennte sich der MSV mittlerweile. Zweifelsohne ein Fehlgriff, aber wer tief baggert, fördert halt nicht immer Gold.
Das Problem Probleme? Unüberbrückbare Gefahrenherde? Walter Hellmich erweckt mit seinen Worten und Taten den Eindruck, dass es so was nicht gibt. Seit der Bauunternehmer beim MSV die Zügel führt, wurde ein satter Schuldenberg abgebaut, vermeintlich gute Neuzugänge geholt und das Stadionprojekt auf den Weg gebracht. Wo sollte es da Platz für Probleme geben? Möglicherweise liegt gerade in dieser problemfreien Zone das Problem des MSV. Denn kein Neuaufbau geht völlig reibungslos vonstatten. Die Erwartungshaltung ist in Duisburg jetzt aber größer denn je. Und erwartet wird, dass der MSV in seinem neuen Stadion bitte schön Erstligaspiele anbietet. Vielleicht noch mehr, niemals aber weniger. Planbar ist das nicht, nur forciert werden kann der Weg dahin. Es wird dauern, bis eine fast komplett neue Mannschaft funktioniert. Schon heute wird jedoch deutlich, dass Trainer Norbert Meier im Umfeld keine Lobby hat. Der Mann arbeitet zwar enorm für die Zebras und überredete die Neuzugänge in ellenlangen Gesprächen an die Wedau zu kommen. Die Masse will aber einen großen Namen, den Meier nicht hat. Schon Friedhelm Funkel wurde ehemals davon gejagt, weil ihm die Ausstrahlung fehlte. Jetzt gibt es wieder Anzeichen, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen. Hellmich tut gut daran, Meier vehement den Rücken zu stärken, weil dieser Mann - objektiv gesehen - wohl ein Glücksfall für die Zebras ist. Wehe, der MSV legt aber einen Fehlstart hin oder leistet sich im Saisonverlauf einen Durchhänger. Hellmich und Meier dürfen keine Fehler machen, denn dann könnten sie ein Problem bekommen. Denn eitle Jäger des Präsidentenpostens und besserwisserische Suppenhühner lauern überall.
Die Zukunft Vieles spricht dafür, dass die Zukunft besser wird als die kurzfristige Vergangenheit. Viele werden sagen, dass dies nicht schwer sei, denn die Erfolglosigkeit, die der MSV in den letzten vier Jahren bot, sei einfach unerträglich gewesen. Manche vergessen, dass in jeder der vergangenen drei Spielzeiten nicht viel gefehlt hätte, um nach 2000 einen weiteren Abstieg hinnehmen zu müssen. Dann den in die Regionalliga. Hellmichs Vorgänger Helmut Sandrock und dessen windiger Crew wurde gerade noch rechtzeitig das Ruder entrissen. Diverse Zwischenspurts retteten die Zebras jeweils - nachdem den Fans vorher etwas von der Bundesliga vorgegaukelt wurde. Nun wird wieder Hoffnung verbreitet, doch die Vorzeichen haben sich gewandelt. Früher versprachen Dilettanten wie eben Sandrock, der frühere Manager Detlef Pirsig und Freizeit-Trainer Pierre Littbarski das Blaue vom Himmel herunter. Jetzt erzählt mit Walter Hellmich der neue Boss nicht nur vom Neuanfang, er handelt auch dementsprechend. Schon der Stadionbau ist ein historischer Meilenstein in der Vereinsgeschichte. Dazu wurde eine komplett neue Mannschaft vom Transfermarkt geholt. Neuzugänge wie Dietmar Hirsch, Rob Maas, Miro Spizak, Josef Ivanovic, Markus Kurth, Kai Oswald oder Benjamin Kruse ist "blind" ein Stammplatz und eine deutliche Verbesserung des Leistungsniveaus zuzutrauen. Das alles sieht mehr als gut aus. Die Grundsteine, um die Stadioneinweihung tatsächlich in der 1. Liga zu bestreiten, sind gelegt. Für Duisburg ist das schon eine Menge.