War es für Sie selbstverständlich, dass Sie sich um ihn kümmern, weil Sie dieselbe Sprache sprechen?
Spätestens nachdem ich wusste, dass seine Mutter ursprünglich aus Paraguay stammt, war es klar für mich. Aber im Ernst: Natürlich war es selbstverständlich für mich, denn ich kenne die Situation selbst, wenn du in einem fremden Land bist und dich niemand versteht. Ich kümmere mich gerne um ihn, weil er ein wirklich netter Typ ist. Wenn er ein Blödmann wäre, wäre das sicherlich schwieriger.
Wie hat man sich damals in Bremen um Sie gekümmert, als Sie aus Paraguay nach Deutschland wechselten? Stand Ihnen auch ein Dolmetscher zur Seite?
Das wäre schön gewesen, aber es lief leider anders. Ich war gerade 17 Jahre alt und froh, wenn ich endlich den Weg zum Trainingsgelände gefunden hatte. Ich habe damals alles selbst in die Hand genommen, habe die Sprache im Alltag und durch Zeitungen gelernt.
Wie wichtig war diese Zeit für Ihre persönliche Entwicklung?
Sehr wichtig, da muss ich nur an meinen kleinen Bruder denken. Er wird bald 19 Jahre alt und hatte das Talent, ein großer Fußballer zu werden. Aber ihm fehlte der nötige Hunger. Ich habe damals sicher auch Fehler gemacht, weil ich schon in Europa gespielt und Geld verdient habe. Ich habe ihm alles gekauft und ihn sehr verwöhnt. Das hat ihn satt gemacht. Meine Schwester ist da zum Glück ganz anders. Sie spielt auch Fußball und ist mittlerweile sogar für die U17-Nationalmannschaft nominiert worden. Sie wird ihren Weg gehen, weil sie sehr ehrgeizig ist. Und aus dem Fehler, den ich mit meinem Bruder gemacht habe, konnte ich auch etwas lernen. Meine eigenen Kinder werde ich sicherlich nicht so verwöhnen. Sie sollen lernen, dass man im Leben arbeiten muss.
Nelson Valdez hilft Lucas Barrios bei der Eingewöhnungsphase (Foto: firo).
Sie scheinen von Ihrer Mentalität sehr gut ins Ruhrgebiet zu passen.
Das kommt aus meiner Heimat und von meiner Familie. Aber ich wusste deshalb auch, dass ich eigentlich gut hierhin passen würde. Ich bin froh, dass man das mittlerweile auch sieht.
Mussten Sie sich in Ihrer Heimat eigentlich auch schon Vorwürfe wegen Ihrer Torquote anhören?
Nein, dort weiß jeder, dass ich nicht der große Torjäger bin, sondern derjenige, der bis zum Umfallen kämpft. Die Leute honorieren das anscheinend, sonst wäre ich nicht dreimal hintereinander zum beliebtesten Promi des Landes gewählt worden. Das macht mich natürlich sehr, sehr stolz und glücklich. Denn das zeigt mir, dass meine Art zu spielen nicht so falsch ist.
Wie fanatisch verfolgen Ihre Landsleute Ihren Sport?
Es gibt bei uns nur Fußball, nichts anderes. Wenn die Nationalelf spielt, gibt unser Präsident dem ganzen Land frei, damit uns jeder zusehen kann. Deshalb wäre es das Größte für uns alle, wenn wir es noch einmal zur WM schaffen würden. Die Chancen stehen ganz gut. Wir brauchen noch vier Punkte aus den letzten vier Partien. Das sollte bei drei Heimspielen möglich sein.
Planen Sie, nach Ihrer Karriere wieder nach Paraguay zurückzugehen?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich wieder zurück nach Paraguay gehe. Ich könnte mir auch gut vorstellen in Deutschland zu bleiben oder nach Mallorca zu ziehen. In Paraguay ist es eher problematisch. Ich laufe immer mit fünf bis sieben Bodyguards durch die Straßen. Das Problem ist, dass es dort in den letzten zehn Jahren viele Entführungen gegeben hat, deshalb muss ich meine Familie schützen. Zwei Bodyguards wohnen das ganze Jahr über auf dem Gelände meiner Familie. Das ist das Negative, wenn man in Paraguay berühmt ist. Privatleben gibt es dann nicht mehr. Wenn ich einkaufen gehe, belagern gleich 50 Leute den Ausgang.
Würden Sie dennoch noch von Heimat sprechen?
Das ist schwer zu erklären. Vor drei Jahren hätte ich noch gesagt, dass Paraguay für mich zu 100 Prozent meine Heimat ist. Jetzt sehe ich das aber mit anderen Augen, weil meine Sicherheit und die der Familie einfach nicht gewährleistet sind.
Trotzdem besuchen Sie regelmäßig Ihr Heimatdorf und unterstützen die Leute dort, wo Sie können. Ist es selbstverständlich für Sie, die Privilegien, die Sie als Fußballprofi genießen, weiterzugeben?
Selbstverständlich will ich nicht sagen, weil nicht alle, die Geld haben, immer helfen. Ich bin aber so erzogen worden, dass man teilen muss, wenn einer mehr hat. Das Problem ist aber, dass man nicht immer allen helfen kann. Wenn du von zehn Leuten sieben hilfst, sagen die anderen drei, dass du arrogant bist.
Haben Sie deshalb inzwischen einen Mittelsmann dazwischen geschaltet, der die vielen Anfragen kontrolliert?
Ja, ich habe gerne geholfen. Aber irgendwann war es einfach zu viel. Jeder hat mich angerufen, wollte Hilfe. Immer wurde nur mein Name genannt. Jetzt habe ich etwas Ruhe.
Was machen Sie denn konkret in Ihrem Heimatdorf?
In diesem Jahr habe ich eine Stiftung zur Kinderhilfe gegründet, damit die Kinder zur Schule gehen können und genug zu Essen bekommen. Zudem spiele ich seit fünf Jahren den Weihnachtsmann, versorge die Kinder mit Süßigkeiten und Spielzeugen. Den Besucher-Rekord hatten wir im vergangenen Jahr. Da kamen 1700 Leute in mein Dorf. Ich wusste gar nicht, wo die alle herkamen. Bisher haben wir immer auf einem Sportplatz gefeiert. Der ist aber zu klein geworden Jetzt müssen wir uns einen neuen Ort suchen.